Die Spur des Verraeters
bemerkt.« Stolz betrachtete Statthalter Nagai den Gegenstand. Ein Diener erschien an der Tür. Der Statthalter trug ihm auf, seinen Besuchern Erfrischungen zu bringen. »Der Tisch und die Uhr sind ein Geschenk von dem holländischen Barbaren, der verschwunden ist«, sagte er dann. »Direktor Jan Spaen, Leiter der Faktorei der Ostindischen Kompanie auf Deshima.«
»Sehr interessant«, sagte Sano. Er erinnerte sich an die Bemerkung von Kammerherrn Yanagisawa, man könne als Beamter in Nagasaki durch den Überseehandel ein Vermögen anhäufen. Offenbar stammten solche Reichtümer sowohl von den japanischen Händlern – die sie in Form von Steuern entrichteten – als auch von den ausländischen Kaufleuten, die sie in Form von Geschenken an hohe Beamte verteilten – Geschenke, die dazu dienen sollten, ihnen den Handel zu erleichtern. Aber noch faszinierender als die Aussicht auf Reichtümer war für Sano der Gedanke, mit jenen Menschen zusammenzutreffen, deren Kultur solche Wunderdinge hervorgebracht hatte wie eine mechanische Apparatur, mit der man die Zeit messen konnte.
»Euer Ruf ist Euch vorausgeeilt, sôsakan-sama «, sagte Statthalter Nagai. »Als ich das letzte Mal in Edo war, hattet Ihr gerade den Bundori-Mörder verhaftet.«
Um dafür zu sorgen, dass im Hafen von Nagasaki kein einzelner Mann zu große Macht ausübte, besaß die Stadt drei kaiserliche Statthalter, die abwechselnd die Verantwortung trugen. Während einer sich stets in Edo aufhielt, um dem Shogun zu berichten – und seine Familie zu besuchen, die als Geisel gehalten wurde, damit der betreffende Statthalter nicht auf den dummen Gedanken kam, sich gegen den Shogun zu erheben –, wechselten die beiden anderen sich bei der Aufgabe ab, das höchste Amt in Nagasaki auszuüben. Das Schicksal hatte es so gewollt, dass zu dem Zeitpunkt, als der Holländer verschwand, Nagai das Amt des Statthalters innehatte. Dass Sano so höflich behandelt wurde, lag sicher mit daran, dass er das Wohlwollen des Shogun besaß – auch wenn allgemein bekannt war, dass Tokugawa Tsunayoshi seine Gunst so rasch wieder entzog, wie er sie gewährte. Andererseits hatte der Statthalter gewiss direkte Befehle von Kammerherrn Yanagisawa erhalten – und mit Sicherheit wusste Nagai von der Feindschaft zwischen Sano und dem Kammerherrn. Aber vielleicht konnte Sano diese widerstreitenden Treuepflichten des Statthalters gegenüber dem Shogun und dem Kammerherrn zu seinem Vorteil nutzen.
»Seine Hoheit hat sich besonders für die Ermittlungen bei den Bundori-Morden interessiert«, sagte Sano und erwähnte bewusst den Shogun, um bei Statthalter Nagai den Eindruck zu erwecken, er besäße das uneingeschränkte Vertrauen Tokugawa Tsunayoshis. Er musste alles in die Waagschale werfen, um seinen Aufenthalt in Nagasaki zu überleben und wohlbehalten in sein Amt als sôsakan-sama zurückzukehren.
»Ja. Natürlich. Gewiss.« Statthalter Nagai quittierte Sanos kleine List, indem er beipflichtend nickte. »Es wird mir ein Vergnügen sein, Euch und Eurem Gefolgsmann eine prächtige Villa, Diener und Pferde zur Verfügung zu stellen.«
Dieses Zugeständnis war ein gutes Zeichen – wenn es auch nicht das war, worauf es Sano wirklich ankam. »Ich danke Euch, Nagai-san«, sagte er.
Der Diener brachte Tee und Gebäck. »Ausgezeichnet«, sagte Sano dem Gebot der Höflichkeit entsprechend, nachdem er einen Bissen genommen hatte. »Die Plätzchen haben einen wundervoll würzigen Geschmack.« Sano unterdrückte ein Lächeln, als er Hirata beobachtete, dessen Seekrankheit verschwunden war und der zum ersten Mal seit Tagen mit gesundem Appetit aß. »Was sind die Zutaten?«
»Unter anderem Zimt und Muskat«, erwiderte Statthalter Nagai zwischen zwei Bissen, »von den Inseln Indonesiens. Die ausländischen Händler bringen Kräuter und Gewürze aus aller Herren Länder hierher nach Nagasaki.«
Auf eine solche Bemerkung hatte Sano nur gewartet. »Vielleicht sollte ich meine Inspektion damit beginnen, mir ein Bild über den derzeitigen Stand des Handels mit den Ausländern zu machen. Am besten, ich fange mit den Holländern an.« Wenn Sano diese Scharade schon spielen musste, wollte er sich wenigstens seinen Wunsch erfüllen und diese Barbaren endlich mit eigenen Augen sehen.
»Nun, ja, gut.« Statthalter Nagai lächelte und nahm einen Schluck Tee. »Ich fürchte allerdings, man kann die momentanen Beziehungen zwischen Holländern und Japanern nicht als normal bezeichnen.« Er blickte aus dem
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