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Die Spur des Verraeters

Die Spur des Verraeters

Titel: Die Spur des Verraeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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straffer Körperhaltung. Sano, der sich den beiden Männern näherte, hörte ihn murmeln: »… wäre das nie geschehen.«
    »Was soll das heißen?« In die Stimme des Breitschultrigen schlich sich Misstrauen. »Ihr …« Er hielt inne, als er die Besucher erblickte.
    »Darf ich Euch die Gesandten des Shogun vorstellen, Statthalter Nagai?« Der Beamte wies auf Sano, Hirata und den Kapitän und nannte ihre Namen.
    »Ich wurde hierher geschickt, um in Edo über die Lage in Nagasaki zu berichten, ehrenwerter Statthalter«, erklärte Sano.
    Statthalter Nagais Miene entspannte sich; sein Zorn schien mit einem Mal verflogen zu sein. Er verbeugte sich höflich, und ein freundlicher Ausdruck legte sich auf sein Gesicht. Trotz seiner derben Züge – der breiten, grobporigen Nase, den wulstigen Lippen und den Hängebacken – besaß sein Gesicht große Ausdruckskraft und war durchaus anziehend.
    »Willkommen in Nagasaki. Ich hoffe, Ihr hattet eine angenehme Reise«, sagte Statthalter Nagai freundlich und mit angenehmer Stimme. »Ich bitte um Nachsicht, dass in der Stadt zurzeit ein solches Durcheinander herrscht, aber wir werden die Lage bald unter Kontrolle haben.«
    Sano hatte bereits in Edo von Statthalter Nagai gehört. Seine Bewunderer priesen seine organisatorischen Fähigkeiten, denen er seinen steilen Aufstieg vom niederrangigen Inspektor in der Provinz zum kaiserlichen Finanzverwalter zu verdanken hatte, der sich die Gunst Tokugawa Tsunayoshis und schließlich das hohe Amt des Statthalters von Nagasaki erworben hatte. Nagais Verleumder hingegen behaupteten, er missbrauche seine Macht, um sich zu bereichern und käme nur deshalb ungeschoren davon, weil er die Gabe besäße, durch Bestechung oder Gewalt dafür zu sorgen, dass die richtigen Leute zur richtigen Zeit den Mund hielten.
    Statthalter Nagai wies auf den grauhaarigen Samurai. »Das ist Ohira Yonemon, Kommandant der Wachmannschaften auf Deshima. Er wollte sich gerade auf den Weg machen, um dafür zu sorgen, dass keine weiteren Barbaren verschwinden.«
    Wortlos und mit höflichen Verbeugungen verabschiedete sich Kommandant Ohira. Sano wusste, dass dieser Mann die Hauptverantwortung für sämtliche Probleme trug, die sich auf Deshima ergaben. Kommandant Ohiras Wangenmuskeln zuckten, und seine blassen Lippen waren aufeinander gepresst. Er sah wie ein kranker Mann aus; sein Gesicht war bleich, die Haut unter den Augen gerötet und verquollen, als hätte er nächtelang nicht geschlafen. Als er das Zimmer verließ, zitterten seine verspannten Schultern.
    Der Kapitän trat vor. »Die Befehle des ehrenwerten Kammerherrn Yanagisawa«, sagte er und reichte Statthalter Nagai ein Kästchen mit Schriftrollen.
    Der Statthalter öffnete den Deckel, erbrach die Siegel an den Rollen und las die Befehle mit ausdrucksloser Miene. Unvermindert freundlich, wandte er sich dann wieder Sano zu. »Nun, ja, gut. Kommt, gehen wir in meine Schreibstube. Dort können wir Eure Pläne besprechen, was die Inspektion der Stadt angeht«, sagte er.
    Nachdem Nagai einem seiner Schreiber befohlen hatte, dem Kapitän eine Unterkunft in den Kasernen zuzuweisen, führte er Sano und Hirata eine Treppe hinauf und in ein helles, geräumiges Zimmer. Schiebetüren führten auf einen Balkon, unter dem die Dächer der Stadt sich wie ein Sturzbach aus roten Ziegeln und gelbem Stroh den Hügel bis zum Hafen hinunter ergossen – ein malerischer Anblick. In der Ferne waren das Meer und der Himmel azurblau; der Hafen machte einen täuschend friedlichen Eindruck. Eine warme Brise trug die Geräusche aus den geschäftigen Straßen heran.
    Statthalter Nagai kniete sich an sein Schreibpult; hinter ihm standen hölzerne Regale, in denen Rechnungsbücher aufbewahrt wurden. Sano und Hirata knieten sich Nagai gegenüber auf Seidenkissen. Das Zimmer war mit Schränken und Vitrinen möbliert, wie man sie in den meisten Amtsstuben fand; ein seltsamer Gegenstand jedoch erregte Sanos Interesse.
    In einer Nische sah er einen Tisch mit langen dünnen Beinen. Auf diesem Tisch stand ein eigenartiger Holzkasten, so groß wie der Kopf eines Mannes; auf dem Deckel des Kastens befand sich ein weißer Kreis aus Emaille, der von zwölf seltsamen, in Gold eingelegten Symbolen umgeben war, und vom Mittelpunkt des weißen Kreises aus ragten zwei schlanke goldene Zeiger nach außen; der eine war länger als der andere. Der Kasten gab regelmäßige, leise tickende Geräusche von sich.
    »Wie ich sehe, habt Ihr meine Uhr aus Europa

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