Die Spur fuehrt nach Tahiti
eine halbe Stunde später dampfte auch die „Aurora“ langsam auf die enge Durchfahrt zu.
Der Kapitän stand auf der Brücke. Er grüßte, mit der rechten Hand am goldumborteten Schirm seiner weißen Mütze, eine halbaufgerauchte Zigarette im Mundwinkel.
Der Baron und Krumpeter hatten jeder für sich die Idee gehabt, sich von dem Schoner zu verabschieden. So hatten sie sich am Pier getroffen, standen nun nebeneinander und winkten zu dem Kapitän hinüber. Krumpeter hatte jetzt außer Jeans ein T-Shirt und Tennisschuhe an. Der Baron war wieder mit der Aktentasche gekommen, die er schon bei der Ankunft bei sich gehabt hatte.
„Jetzt sind die Brücken hinter Ihnen abgebrochen“, meinte der Mann mit dem dünnen Spazierstock fast feierlich. „Vorerst jedenfalls –“
„Ja –“ sagte Krumpeter nur. Das Wort blieb ihm momentan beinahe in der Kehle stecken. Aber seine Rührung dauerte nur so lange, bis von der „Aurora“ nur noch der dunkle Rauch aus dem Kamin hinter dem Riff zu sehen war. Denn im gleichen Augenblick schoß es ihm durch den Kopf, daß zwischen ihm und der Berliner Polizei jetzt ganze Erdteile lagen und der Ozean dazu. Dieser Gedanke war ungemein beruhigend.
„Wo gibt es hier eigentlich ein Postamt oder so was Ähnliches?“ fragte er wie aus heiterem Himmel, als er neben dem Baron zum Ufer zurückging.
„Drüben im Gemeinschaftshaus, aber wenn Sie auf Briefe warten, müssen Sie bis zum nächsten Versorgungsschiff Geduld haben.“
„Und wann kommt das nächste Versorgungsschiff?“
„Nicht vor einer Woche oder zwei, es gibt da keinen Fahrplan.“
Am Rand der Lagune schoben ein paar Männer, die vom Fischfang zurückgekommen waren und jetzt Feierabend machen wollten, ihre Boote ans Land, und als sie zum Dorfladen kamen, begegneten sie einigen Frauen, die in bunte Tücher gehüllt das, was sie eingekauft hatten, in Körben auf dem Kopf nach Hause trugen. Zwischen ihnen tauchte plötzlich der Junge auf, der morgens für die Passagiere der „Europa“ und dann auch für Krumpeter frische Kokosnüsse aufgeschlagen hatte. Als er die beiden Männer entdeckte, trabte er auf sie zu.
„Ich hab’ alles eingekauft“, sagte er zum Baron, „genau, wie es auf Ihrem Zettel stand.“
Er hatte von der Hitze Schweißperlen auf der Stirn und sprudelte ohne Pause weiter: „Ich würde gern am Abend Musik machen, brauchen Sie mich noch?“
„Die Insel hat eine ganz prima Band mit Schlagzeug, elektrischen Gitarren, Verstärkern und allem Drum und Dran“, erklärte der Baron seinem Begleiter. Dann wandte er sich wieder an den Jungen mit den zwei Plastiktüten. „Nein, ich brauch’ dich heute nicht mehr. Wenn du das Zeug da ins Haus gebracht hast, kannst du abzwitschern.“
„Mauruuru roa“, dankte der Knabe namens Tagi auf tahitisch. Er ließ es aus seinen Augen blitzen, drehte sich um und ging los. Aber schon nach zwei oder drei Schritten blieb er stehen, drehte sich um und blickte zu Krumpeter. „Hoffentlich hat Ihnen Huru-Huru das Zimmer mit dem Balkon im oberen Stock gegeben?“
„Ja, das hat er“, erwiderte Krumpeter.
„Dann bin ich beruhigt“, sagte der Junge ernsthaft. “Ich hab’ mal im „Trois fleurs“ eine Zeitlang gearbeitet und kenn’ alle Zimmer. Das im oberen Stock hat als einziges eine Aussicht zur Lagune. Die anderen haben nur Sträucher und Palmen vor den Fenstern.“ Er drehte sich zum Gehen, kam dann aber noch einmal zurück. „Ich hab’ das gesagt, weil ich die Staffelei gesehen habe, als man Ihr Gepäck vom Schiff geschleppt hat. Und wenn Sie Maler sind, ist eine schöne Aussicht doch enorm wichtig, oder?“
„Ja, da hast du recht —“
„Dachte ich mir“, feixte der Junge und machte sich mit seinen Plastiktüten nun endgültig davon.
Die beiden Männer blickten ihm nach.
„Klug und besonders sympathisch“, stellte Krumpeter fest.
„Aber leider auch ein Junge, der für sein Alter schon viel zu viel erlebt hat“, sagte der Baron. „Beim großen Hurrikan vor zwei Jahren ist die ganze Insel innerhalb einer Stunde von Sturmwellen überschwemmt worden. Fast alle Eingeborenen haben sich noch rechtzeitig ins Gebirge retten können. Aber die Familie von Tagi hatte ihre Hütte auf der kleinen Insel in der Lagune. Man konnte sie nicht mehr rechtzeitig warnen. Der Vater hatte seine Frau, seinen Sohn und dann sich selber im letzten Augenblick an die Astgabeln von Tamanubäumen festgebunden. Das sind schmiegsame Bäume, die sich im starken Wind biegen und als
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