Die Stachelbeerstraeucher von Saigon
Zitzelsberger lässt sich nicht täuschen.
Er ist auf der Höhe seiner Zeit.
Und das oberste Gebot lautet: Das Böse ist überall.
Hinter jedem Rentner, jedem Studenten, jeder Imbissbudenbesitzerin und jedem Lokomotivführer kann es sich verbergen, das Staatszersetzende, Autoritätszerstörende, ultimativ Böse.
Und so schützt er diesen Staat mit ungetrübtem Blick.
Schlaflos ermittelt er in der Folge gegen Männer, die zittrig ihr Bier trinken, zu lange auf der Toilette sind und dann völlig entspannt diese verlassen.
Gegen Frauen, die ihn bei Verhören erregen.
Gegen zehn durch den Wald joggende Männer mit Rastaperücken,
die bei ihrer Befragung angeben, die deutsche Völkerballnationalmannschaft zu sein, und da sie die einzige Nationalmannschaft seien, und somit ohne Gegner, müsse ein Teil von ihnen die Rolle der jamaikanischen Nationalmannschaft übernehmen.
Spätnachts kommt der Inspektor in seine Wohnung.
Wohnung?!
Die Wände bestehen fast ausnahmslos aus Türen, in der Mitte des Raumes steht ein Treppenteil, verschiedene Stühle und Bänke stehen herum, eine Personenwaage, ein Bett, ein Schrank.
Der Inspektor betritt aus einem Schrank den Raum.
Stephan Zitzelsberger hat keine Wohnung, er hat einen Übungsraum.
Er beginnt sofort mit dem Übungsprogramm.
Er trainiert das elegante Treppengehen, das herrenhafte Hinsetzen auf Kaffeehausstühle und das wirkungsvolle Eintreten durch Türen.
Und man spürt genau: Dieser kleine Niederbayer hat einen großen Traum.
Er träumt von der Souveränität des deutschen Herrn, von einer übermenschlichen Klasse, von einem Leben ohne Wohnung, ohne Frauen, ohne Essen und Trinken, von einem Leben ausschließlich für den » Fall « , von der Erfülltheit Derricks.
Und er steht nun auf der Schwelle zu diesem Schritt in der Evolution.
Zufrieden betrachtet er sich im Spiegel.
Der zweite Tränensack ist ausgereift.
Der dritte im Ansatz erkennbar.
Er duldet nur noch kleine Schwächen an sich.
Er schaltet die Dunstabzugshaube in seiner ungebrauchten Küche auf Stufe drei und raucht darunter freudlos eine Zigarette.
Dann geht er zu Bett.
Er braucht Schlaf – noch.
Aber plötzlich lösen sich die Fälle langsam in Luft auf.
Der Riesenscampi war tatsächlich um acht in der Pfanne.
Der alte Mann stellt sich als unverbesserlicher Menschenfreund heraus, der jedem Asyl gewährt.
Selbst das Vortäuschen von Völkerballweltmeisterschaften entfällt, da plötzlich eine österreichische Nationalmannschaft mit Stroh-Rum-Stirnbändern auftaucht.
Er verliebt sich in die Pilspubbesitzerin.
Seine Mutation ist in Gefahr.
Der dritte Tränensack stagniert.
Er legt eine verschärfte Übungseinheit ein.
Er übt das » Frauen verhören, ohne eine Erektion zu bekommen « .
Und er sucht nach Lösungen.
Und er findet sie.
Er wählt die deutsche Lösung
Dort, wo keine Täter sind, schafft man welche.
Dort, wo Schuldige fehlen, werden sie konstruiert.
Er beginnt, ein feines Netz zu spinnen.
Er streut Gerüchte, provoziert Handlungen durch die Art seiner Ermittlungen.
Und er konstruiert eine geniale Falle, in der er alle seine Mutationshemmer beseitigt.
Ein Hund, der auf einen Pfiff seines Herrn einen Schuss auslöst, ein Assistent, der an Herzschwäche stirbt, und eine Pilspubwirtin, die erschossen wird.
Im Spiegel beobachtet er mit dem Schaudern von Größe das Anschwellen des dritten und letzten Tränensacks.
Er ist mutiert.
Er wird nie wieder Zitze sein, er ist Derrick.
So etwas schrieb ich Mitte der Achtziger.
Skurril ja, infiziert von der Antilogik der österreichischen Krimiserie » Kottan ermittelt « .
Aber ansonsten?
Aber Vorsicht!
Mitte der Achtziger.
Terrorismushochphase, Selbsttötungen, Hysterie, Ordnungswahn.
Und die Stütze des Staates, der Beamte, darf nicht verunsichert werden.
Das ist ein fragiles Geschöpf.
Der Großteil der Beamten, die ich kenne, bei denen reicht es ohne Dienstplan und Mama gerade zum Autowaschen.
Das sind potenzielle Pflegefälle.
Behinderte.
Manche forcieren ihre kriminelle Energie und werden Politiker.
Das bedeutet, wir werden von Pflegefällen verwaltet und von Kriminellen regiert.
Kennen Sie diesen Grundton?
» Übermorgen ist ja wieder Ostern, und jetzt schaun mir mal, wo sich der Osterhas in unserer Sendung versteckt hat. «
Diesen Krankenschwesternton.
Der die medialen Vorabende durchzieht.
Wenn ich vor der » Abendschau « sitze, dann drehe ich mich häufig um, bin nervös, weil ich immer wieder das
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