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Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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sie die Augen auf.
    Während Whitlow und Florinda miteinander sprachen, murmelte die weißhaarige Alte irgendetwas vor sich hin und starrte
ausdruckslos auf die Straße. Anschließend bezahlte Whitlow Florinda mit der Münze, die sie am meisten begehrte.
    Als sie in dieser Nacht, vollgepumpt mit Drogen, unter einer Schnellstraßenüberführung lag, vor sich hin dämmerte und immer wieder in den Schlaf trieb, löste sie sich irgendwann von allen Weltlinien und Fäden, die sie ans Leben banden. Der Regen prasselte auf ihre blaue Plane, und die ersten sporadischen Blitze in der Ferne tauchten ihr friedliches Gesicht, das jetzt kalt wurde und sich glättete, in helles Licht.
     
    In seiner winzigen Atelierwohnung legte Whitlow den Kopf zurück, schloss die Augen und lächelte, als lausche er wunderschöner Musik. Er wartete darauf, dass der Sturm Kraft sammelte und Gestalt annahm – die ihm vertraute weibliche Gestalt.
    Nur noch Tage bis zum Ende.
    Und stets die nie beantwortete Frage: Warum machen unsere Giganten überhaupt so viel Aufhebens von so winzigen Sandkörnchen? Wir alle wirbeln doch nur ziellos und unwissend in der großen Brandung der Welten umher.
    Warum überhaupt darum kümmern?

32
Queen Anne
    Jack hatte kein Licht gemacht. Im Dunkeln saß er am kleinen Küchentisch, in der Hand einen Becher mit heißem Tee. Doch in diesen frühen Morgenstunden war auch der Tee kein Trost. Sein Mitbewohner Burke war spät dran; vielleicht hatte er sich mit seinen Freunden vom Bedienungspersonal zusammengetan und zog jetzt durch die Clubs.
    Bis auf den heftigen Regen und die Blitze im Süden war alles still. Er sah auf die Uhr am Küchenherd: zwei Uhr früh.
    Burke verbarg sein Telefon stets unter einem Kissen hinter der Couch. Oft schlief er tagsüber, hatte aber Bedenken, das Läutwerk des Telefons abzuschalten, deshalb das Kissen.
    Jack spielte mit dem Zeitungsausschnitt herum. Die Ortsvorwahl 206 zeigte, dass es eine Nummer in Seattle war, also würde ein Anruf Burkes kostbares Telefon nicht mit besonderen Kosten belasten. Schlimmstenfalls würde er einen einsamen Kauz an den Apparat bekommen und sich mit ihm über das trostlose Wetter und langweilige Alpträume austauschen. Was an sich ja gar nicht so schlecht sein musste. Zumindest hätte er dann einen Zuhörer, der Anteil nahm.
    Er griff unter die Couch, um das Kissen wegzuschieben und das Telefon an sich zu nehmen. Der Anrufbeantworter neben der Telefongabel blinkte rot: vierzig alte Nachrichten und zwei neue. Burke war abergläubisch, was das Löschen alter Nachrichten betraf. Die erste neue Nachricht hatte jemand namens Kylie von einer Kräuterfarm hinterlassen. Die zweite stammte von Ellen. »Das hier ist für Jack bestimmt. Tut mir leid, das war ein schlechter Anfang. Ich dachte, es könnte Spaß machen, die
Dinge mit den Mädchen durchzusprechen. Dein Abgang war eindrucksvoll. Könntest du das noch mal machen, auf Kommando?« Sie seufzte. »Ich hab die Zeitung gefunden, Jack. Das muss für dich eine schwierige Zeit sein. Handle nicht voreilig! Und ruf mich sofort an. Was immer du tust, unterlass es, die …«
    Der Apparat piepte, da der Speicher voll war. Jack berührte das Kästchen in seiner Hosentasche. Drei Nummern, die er anwählen konnte: die der Klinik, die in der Anzeige oder die von Ellen. Dass er mit Ellen jetzt nicht reden wollte, lag eher an Verlegenheit als an Wut.
    Er starrte auf die westliche Ecke des Wohnzimmers, dorthin, wo die beiden Wände mit der Decke zusammentrafen. Drei Linien, die einen Winkel bildeten. Wenn man diesen Zusammenfluss von Linien wie ein Seil in die Unendlichkeit spannte … alle Linien miteinander verschränkte … würden sie an Stärke gewinnen. Welchen Weg einschlagen? Und mit welchen Konsequenzen?
    Jetzt verhältst du dich schlicht irrational. Entscheide dich.
    Er fuhr so zusammen, als hätte ihm jemand ins Ohr gepustet.
    Bring’s hinter dich. Es wartet Arbeit auf uns, und entweder du hilfst dabei, oder du lässt es bleiben. Nur tu irgendetwas.
    Er griff nach dem Telefon und wählte die erste Nummer, die ihm in die Finger geriet. Selbstverständlich war es die in der Anzeige angegebene. Um zwei Uhr früh rief er einen völlig unbekannten Menschen an, doch es kam ihm irgendwie richtig vor. Ein angenehmer Ausweg. Alles wird gut.
    Noch vor Ende des ersten Läutens wurde abgenommen. »Lokalredaktion«, meldete sich eine heisere Stimme. »Zeitschrift für Traumbilder.«
    »Ist das die Nummer aus der Anzeige? Die man

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