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Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Jebrassy, dessen Ohren immer noch glühten. »Mir gefällt es hier nicht.«
    »Vielleicht zeigen diese Regale uns, was ringsum geschieht, während wir schlafen. Und wir sind einfach zu unwissend und zu unachtsam – oder schlafen zu fest –, um es zu bemerken,
falls es uns überhaupt interessiert. Dabei könnten wir lernen, diese alten Symbole zu entschlüsseln. Wir könnten sie auf Schütteltücher schreiben und die Zeichen nach einigen Nächten miteinander vergleichen …«
    Plötzlich hatte Jebrassy einen Geistesblitz. Für den Augenblick vergaß er seine Angst, kehrte zum Regal zurück, berührte die Buchrücken, zerrte aber nicht daran, denn er ging davon aus, dass er sich das Privileg, sie in Besitz zu nehmen, noch nicht verdient hatte. »Die Bücher, die sich lockern könnten , so dass man sie herausziehen kann, sind stets dieselben«, sagte er. »Aber sie sind in Bewegung, die Titel verändern sich. Liegt das Geheimnis darin?«
    Tiadba lächelte und zerrte an weiteren Büchern, hatte aber kein Glück. Gleich darauf pfiff sie vor Aufregung und rannte den Gang entlang.
    »Vielleicht ähneln sie Buchstabenkäfern«, überlegte Jebrassy und ging ihr nach. »Vielleicht erzeugen sie sogar Neues. Vielleicht produzieren die Titel neue Titel, vielleicht entstehen neue Bücher.«
    »Ich sehe nicht, wie uns das weiterbringen soll«, rief Tiadba ihm zu.
    »Wie können wir das wissen?«, murmelte Jebrassy. Der Schock dieser Entdeckung – der Entdeckung, dass die Bücher sich wandelten – schwand genauso schnell, wie er gekommen war. »Wir können die Bücher ja nicht lesen … wissen nicht, an welchen wir ziehen sollen … Und in jeder Schlafphase, wenn niemand hinsieht, verlagern sie sich oder vermehren sich … Und das bedeutet, dass es auch Titel gibt, die verschwinden, denn die Regale dehnen sich ja niemals aus … So ein Mist !«, fluchte er. »Es ist wie ein Würfelspiel .«
    »Und die Würfel sind präpariert«, ergänzte Tiadba. »Wir können gar nicht gewinnen. Nie werden wir ein echtes Buch entdecken. Aber Graynes Schwesternschaft hat immerhin ein paar gefunden.« Ihre Miene hellte sich auf. »Ist das nicht eine wunderbare Herausforderung für uns?«
    Jebrassy linste zu ihr herüber. »Na ja, das kann ja nicht alles sein. Wir haben irgendetwas Wichtiges übersehen.«
    »Ruf deinen Freund und die anderen«, sagte Tiadba. »Vielleicht können sie uns helfen. Gut möglich, dass sie die Bücher finden, die für sie bestimmt sind.«
    Jebrassy blickte über den Mittelpunkt des Stockwerks hinweg auf die anderen Gänge, die sich strahlenförmig bis zu den äußeren Ebenen erstreckten. Tausende von Bücherregalen … Er konnte nicht einmal ansatzweise schätzen, wie viele Titel das sein mussten. »Das hier wird eine Ewigkeit dauern.«
    »Was meinst du denn mit Ewigkeit ?«, fragte Tiadba.
    Keiner von beiden hatte das Wort je zuvor gehört, denn im Wortschatz der alten Art gab es diesen Begriff nicht.

ZEHN NULLEN

31
    Whitlow, der vor einem Kino stand, blickte nach links und rechts, ehe er die Fünfundvierzigste Straße überquerte. Obwohl er so viele Jahre in London und Paris verbracht hatte, wusste er noch immer nicht, aus welcher Richtung von Pferden gezogene oder mit Benzin angetriebene Gefährte auf ihn losstürmen würden.
    Whitlow fehlte jeder Sinn für Gefahr, er spürte sie sogar noch weniger als die Menschen, die er jagte. Hätte ihn der Zauber der Kalkfürstin nicht geschützt, wäre er wahrscheinlich schon vor tausend Jahren gestorben, im letzten Feuerschlund des brennenden Cordoba.
    In keiner der Pfandleihen dieser Gegend war er auf irgendetwas Interessantes gestoßen. Das hatte er auch gar nicht erwartet – es gab Kräfte, die dem offensichtlich entgegenwirkten und sich auf eine Konfrontation vorbereiteten.
    Die Neonschrift des Kinos kündigte einen Film mit dem Titel Das Buch der Träume an, was ihm ein breites Grinsen entlockte, so dass seine großen, kräftigen Zähne hervortraten. Sie sahen alle gleich aus und hatten die Farbe alten Elfenbeins.
    Er trug seinen besten Anzug, der nach fünfzig Jahren zwar schon leicht zerschlissen, aber gut ausgebessert war. An manchen Stellen war neuer Webstoff eingesetzt, aber für das bloße Auge war das nicht sichtbar. In seiner Atelierwohnung in Belltown hatte er sich sein zweiwöchentliches Bad gegönnt und mit dem Schwamm abgeschrubbt, danach das schüttere schwarze Haar eingeölt, den schmalen Schnauzbart gestutzt und gewachst, Wollsocken übergestreift und

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