Die Stadt am Ende der Zeit

anrufen soll, wenn’s … um Träume geht?«
    »Klingt es danach?«
    »Tut mir leid, ich hab wohl falsch gewählt.«
    »Sagen Sie, was Sie auf dem Herzen haben. Ist ja noch früh.«
    »Ich muss etwas über die Kalpa erfahren.« Selbst verblüfft über dieses Wort – diesen Ort –, sog Jack den Atem ein und legte die Hand über die Sprechmuschel.
    »Name und Adresse bitte.« Die Reibeisenstimme klang souverän und keineswegs schläfrig.
    »Wie bitte?«
    »Sie haben nach der Kalpa gefragt.«
    »Ich weiß nicht mal, was das ist.«
    »Haben Sie Aussetzer? Momente geistiger Abwesenheit?«
    »Ich glaube schon.«
    »Wie oft treten Ihre Träume auf, wo und wann? Auch winzige Einzelheiten zählen.«
    »Ich war schon beim Arzt deswegen.«
    »Ärzte bringen Ihnen nichts. Ich brauche Einzelheiten. Meine Feder ist gespitzt.«
    »Vertreten Sie irgendein Unternehmen? Wer sind Sie?«
    »Ich heiße Maxwell Glaucous und arbeite mit Penelope Katesbury zusammen. Wir beantworten Anrufe und manchmal auch Fragen, haben aber nicht unbegrenzt Zeit. Also … Geben Sie mir jetzt bitte Namen und registrierte Nummer durch.«
    »Ich heiße Jack. Meine Telefonnummer lautet …«
    »Die habe ich. Was ich brauche, ist die Ihnen zugeteilte Registriernummer. Sie haben doch eine bekommen, oder nicht?«
    »Nein, ich glaube nicht. Ich weiß es nicht.«
    »Es gibt eine solche Nummer, und Sie besitzen sie«, sagte der Fremde mit Bestimmtheit. »Suchen Sie diese Nummer und rufen Sie wieder an. Besser früher als später, wenn ich Ihnen einen Rat geben darf. Denn falls jemand anderes von Ihren Aussetzern erfährt, könnte es schlecht für Sie ausgehen. Aber wir können Ihnen helfen.«
    »Wissen Sie, was mit mir los ist? Ist es eine ernste Sache?«
    »Eine ernste Sache ist es allerdings, aber mit Ihnen ist alles in Ordnung. Nur sind Sie mit einer wunderbaren Gabe gesegnet. Suchen Sie Ihre Nummer und rufen Sie wieder an.«
    »Wo soll ich denn danach suchen?«
    »Sie haben einen Gast beherbergt. Sehen Sie in seinen Sachen nach, durchsuchen Sie das, was er zurückgelassen hat, was es auch sein mag.« Glaucous hüstelte und legte auf.
    Jack blieb noch einen Augenblick sitzen. Vor Ärger, gepaart mit Neugier, war sein Gesicht rot angelaufen. Mit zitternden Knien ging er in sein kleines Schlafzimmer hinüber und zerrte den Schrankkoffer von der Wand weg.
    Die Zeichenmappe war verschwunden. Verblüfft starrte er auf die leere Stelle. Er durchsuchte das ganze Zimmer, sah unter dem Bett nach, deckte Bettzeug und Matratze auf, kehrte zum Schrankkoffer zurück. Nichts.
    Als er im Schatten hinter dem Koffer herumtastete, stieß er auf ein kleines sechskantiges Stück Papier und nahm es an sich. Das Sechseck war kunstvoll gefaltet, wie ein Origami -Papier oder eines dieser rätselhaften mathematischen Objekte, die Schüler basteln lernten. Es war so dicht und ausgeklügelt gefaltet, dass er es nicht weit genug öffnen konnte, um den Inhalt zu erkennen. Es gab keine losen Enden. Soweit er sehen konnte, liefen alle Ecken und Kanten in der Mitte zusammen.
    Um Papier so zu falten, braucht man wirklich sehr geschickte Finger.
    »Aufhören!«, rief Jack in die reglose Luft. Er drückte das gefaltete Papier von zwei gegenüberliegenden Seiten aus zusammen, danach aus einem anderen Winkel, und probierte eine Kombination nach der anderen aus, um das Ding dazu zu bringen, aufzuspringen und sich wie eine Blüte zu entfalten. Nichts.
    Vorsichtig meldete sich eine innere Stimme: Die wollen eine Registriernummer. Den Katalogeintrag des dir zugeteilten Buches. Was immer du tust, gib sie ihnen nicht, auf keinen Fall.
    »Warum nicht?«
    Keine Antwort.
    »Ach, geh zum Teufel.« Er spürte einen zunehmenden Druck in der Luft, der seine Gedanken vernebelte.
    Jack blickte auf. Jemand kam die Treppe hinauf. Draußen waren schwere Schritte zu hören. Er hoffte auf Burke – jemanden, mit dem er reden konnte. So vieles war heute geschehen. Der Druck wurde so stark, dass er davon Kopfweh bekam. Er hätte alles dafür gegeben, dass das hier aufhörte. Der Wind hatte aufgefrischt, und der Regen prasselte jetzt heftiger.
    Die schweren Schritte wurden langsamer und klangen wie die eines alten, vorsichtigen Menschen. Keineswegs nach Burke, der ein fixer, sportlicher Typ war. Plötzlich wollte Jack irgendwo sein, nur nicht hier. Dann schwand dieses Gefühl und wich einem weiteren Anflug von Euphorie. Alles wird gut …
    Über die Vorhänge vor dem Wohnzimmerfenster fiel ein großer Schatten, an