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Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Obwohl ihre grauen Augen durchaus selbstbewusst blickten, nestelte sie nervös an einem Messingknopf ihrer Jeansjacke herum und strich ihr maßgeschneidertes Samtkleid glatt.
    Als Ginny sich zu der dritten Frau umdrehte, knarrte der alte Holzfußboden. Diese Frau war ganz in Lila gewandet und hatte sich einen riesigen Schal um die Schultern gelegt. Sie war
untersetzt und älter als alle anderen bis auf Bidewell. Ihre dunklen Augen wirkten dreist. Ginny gefiel es keineswegs, wie diese Frau sie von Kopf bis Fuß musterte: Ihr Blick war abschätzend, so als wolle sie Ginny wiegen und vermessen, gegebenenfalls auch Störendes abschneiden.
    Ginny war sich nicht sicher, ob ihr überhaupt eine dieser Frauen gefiel.
    Bidewell lächelte und enthüllte seine kräftigen Zähne, die an verfärbtes Knochenporzellan erinnerten. »Würde Miss Virginia Carol uns die Gefälligkeit erweisen, sich zu uns zu gesellen? «, fragte er. »Auch wenn es noch ein bisschen zu früh sein mag. Wir warten noch auf Dr. Sangloss.«
    Ginny erinnerte sich an Dr. Sangloss. Sie war die Ärztin, die sie in der Klinik behandelt und ihr von Bidewell und dem grünen Lagerhaus erzählt hatte. Mittlerweile überraschte sie gar nichts mehr.
    Sie haben von Pfandleihen gesprochen. Mein Stein!
    Die Frauen betrachteten sie mit vorsichtiger Neugier und warteten auf ihre Reaktion. Ich könnte ja beißen. Wer sind die überhaupt?
    Ein weiterer Donnerschlag.
    Die Frau in der grünen Jacke stand schließlich auf und streckte ihr die Hand hin. »Ich heiße Ellen«, sagte sie. Ginny wollte die Hand nicht nehmen, doch die Frau kam noch näher. Da sie nicht unhöflich sein wollte, lenkte Ginny ein und gab ihr die Hand. Anschließend stellte Ellen ihr die Rothaarige namens Agazutta vor. Die untersetzte Frau mit dem abschätzigen Blick hieß Farrah. »Der Sturm hat gerade erst angefangen, Virginia«, bemerkte sie. »Doch diesmal ist er nicht hinter Ihnen her – noch nicht.«
    »Ich weiß.«
    »Uns bleibt höchstens noch eine Stunde«, fuhr die Frau fort. »Wir hätten uns früher darauf vorbereiten sollen.«
    »Ich habe mir zu lange Zeit gelassen, stimmt«, räumte Bidewell ein. »In den letzten Tagen war ich ein wenig erschöpft, tut mir leid. Wir brauchen dich, Virginia, denn keiner von uns anderen ist ein Schicksalswandler.«
    »Was ist ein Schicksalswandler?«, fragte Ginny. Als es ihr gleich darauf dämmerte, war sie so verblüfft, dass sie den Mund aufriss und die Augen zusammenkniff. Plötzlich verwandelte sich ihr Argwohn in Angst. Niemals hatte sie einem Menschen von ihrer Gabe erzählt, da sie fürchtete, sie dadurch aufs Spiel zu setzen. Sie war sich ja nicht einmal sicher, ob sie ein solches Talent überhaupt besaß. Dennoch wussten diese Menschen darüber Bescheid. Entweder sie verfügte tatsächlich über spezielle Fähigkeiten, was ihre jahrelangen Alpträume und verzweifelten Hoffnungen erklären würde, oder sie alle litten unter den gleichen Wahnvorstellungen.
    Ein Raum voller Menschen, die genauso verrückt sind wie ich.
    Nach der Vorstellungsrunde griff Ellen nach einer Plastiktüte und entnahm ihr eine zerknitterte Zeitung, die Seattle Weekly . »Die hab ich bei mir zu Hause im Altpapier gefunden«, erklärte sie, legte die Zeitung auf den Holztisch und schlug die Seite mit den Kleinanzeigen auf, in der ein Loch in der Größe von ein, zwei Kontaktanzeigen klaffte. »Vielleicht weiß Virginia, was das zu bedeuten hat.«
    Ginny wurde rot und wandte sich ab.
    »Kein Grund, Angst zu haben oder sich zu schämen«, sagte Bidewell.
    »Natürlich nicht. – Wo bleibt denn Miriam?«, meinte Agazutta und blickte auf die gegenüberliegende Holztür.
    Farrah starrte Ginny immer noch geduldig und unerbittlich an. Abschätzend. »Das Mädchen weiß es«, erklärte sie leise. »Auch Virginia war dort – und ist denen entkommen.«
    Ginny bedachte sie und alle anderen mit einem wütenden, trotzigen Blick und wirkte dabei so hilflos wie ein von Tigern umzingeltes Reh. Wie auf Kommando sprang Minimus in diesem Moment auf den Tisch, ließ sich neben der Zeitung nieder, hob die weiße Pfote und schlug die Krallen wie besessen in die Seite, bis sie zerfetzt war.
    »Es ist stets dieselbe Frage, mit der diese Jäger ihre junge Beute in die Falle locken«, bemerkte Bidewell. »Und jemand ist drauf und dran, darauf einzugehen.«
    »Ein junger Mann namens Jack«, ergänzte Ellen. »Er ist so wie Sie, Virginia. Ein Schicksalswandler.«
    »Träumen Sie von einer Stadt am Ende

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