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Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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und stießen dabei weitere der schönen silbernen Kurvenlinien aus. Andere verschwanden einfach, während die Übrigen – es mussten Zehntausende sein, denn ihre langen Reihen erstreckten sich bis ins Nirgendwo – wie ein gewaltiges Heer von unbeschriebenen Blättern auf Anweisungen warteten.
    Jetzt kam das Angelin in sein Sichtfeld und stupste ihn an. Trotz des schützenden Schimmers, der Jebrassy umgab, wurden seine Füße bei der Berührung eiskalt, doch wenigstens kam er nach einer langsamen Drehung wieder in eine aufrechte Position, so dass er auf den strahlenden Regenbogen und die roten Zangen blickte, die nach oben und zur Seite griffen, feuerfarbige Leuchtkörper packten und nach unten zerrten.
    »Der Hüter hat einen Nachgezüchteten abgeliefert«, verkündete das Angelin mit so süßer Stimme, dass Jebrassy die Ohren klingelten. Gleich darauf drang eine andere Botschaft zu ihm durch, die weder von dem Hochgewachsenen noch von der blauen Gestalt kam. Es klang kaum wie eine Stimme, eher wie ein Strahl von Worten, den Jebrassy wegen des Glanzes, der ihn umhüllte, nur halb erkennen konnte.
    Der Urzeitliche soll sich einen Ort suchen, an dem er gesunden kann. Wir werden uns treffen, sobald er wieder heil und ganz und ruhiger geworden ist. Ich möchte ihn nicht erschrecken. Schließlich ist er der wichtigste Bürger der Kalpa.
    Jebrassy sah zu dem Hochgewachsenen auf, der neben ihm stand.
    »So sei es«, erwiderte Ghentun. »Nach fünfhunderttausend Jahren habe ich endlich meine Pflicht gegenüber den Eidola erfüllt.«

57
    In Trübsal versunken, stand Tiadba an der Peripherie des Ausbildungslagers, am flachen breiten Ausläufer des Kanals. Nur mit Mühe konnte sie in der Ferne die tafelartigen Umrisse der drei Inseln ausmachen, auf denen sie ihr ganzes bisheriges Leben verbracht hatte. Auf jeder Tafel stapelten sich die Blöcke wie aufeinandergeschichtete Spielkarten. Der Nebel, der vom Kanalbett aufstieg, milderte die Umrisse und trübte sie ein. Während das Licht über den Blöcken schwächer wurde und sich Schlaf über die fernen Ebenen senkte, wandte Tiadba sich dem dunklen Bogen zu, hinter dem sich, so hatte man ihnen mitgeteilt, die Außenanlagen der Kalpa und die Realitätsgeneratoren befanden, die sie vor dem Chaos schützten.
    Ihr Körper kam ihr wie eine zusammengerollte Peitsche vor, die bereit war loszuschlagen. Die Zeit floss zu schnell – und doch nicht schnell genug.
    Jetzt bildete man sie aus; der Marsch war eine ausgemachte Sache. Gerade dachte sie, sie könnte es vielleicht schaffen, auch ohne Jebrassy weiterzumachen, könnte damit aufhören, ständig
über die Wege nachzugrübeln, die sie nun niemals gemeinsam gehen würden, da fiel ihr ein, wie sie ihren Liebsten als Letztes im Griff des braunen Wächters hatte baumeln sehen, und der Kummer war wieder da.
    Während des atemberaubenden Fluges war es furchtbar laut gewesen, und es waren dunkle Wirbel aufgetaucht, die aussahen wie hingetuscht. Etwas Beängstigendes, Unausgeformtes hatte sich ihnen genähert. Doch Tiadba hatte allem standgehalten. Die Wächter hatten insgesamt neun Nachgezüchtete im Hochwasserkanal abgesetzt, wie sie annahm. An die ersten Augenblicke konnte sie sich überhaupt nicht mehr erinnern. Allerdings wusste sie noch, dass sie unter einem dunkleren Abschnitt des künstlichen Himmels eine Ebene durchquert hatten. Am Himmel hatte sie bis auf gelegentliches Gestöber von Gesteinsstaub nichts Auffälliges bemerkt. Die niedrigen Baumgruppen am Kanal, die in dem alten Schlamm wurzelten, waren bald einem ungeheuer weiten Tiefland gewichen, das sich zu beiden Seiten hin bis ins Dunkel erstreckte. Schon als sie sich dem Ende des ersten Reiseabschnitts genähert hatten und die riesigen Bogengewölbe hatten erkennen können, die die äußeren Grenzen des Kanals bildeten, waren alle einer Panik nahe gewesen. Furcht war an die Stelle ihres Draufgängertums getreten.
    Vielleicht hatte auch Jebrassy Beschützer gehabt und überlebt; gut möglich, dass er irgendwo in der Nähe herumirrte und jeden Moment im Lager eintreffen würde. Doch sie fragte sich, wie sie immer noch daran glauben konnte. Sie nahm auch nicht an, dass er sich noch in den Ebenen befand. Wo er auch stecken mochte, jedenfalls war er nicht bei ihr, und sie sehnte sich nach ihm.
     
    Die neun Nachgezüchteten, die die Wächter geborgen hatten, waren als Gruppe nicht so zusammengesetzt, wie Grayne es vorgesehen hatte. Denbord, Macht, Perf und Tiadba waren die

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