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Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Texten jeder Art. Da Mnemosyne Texte über alles liebt, hebt sie sich deren Aufbereitung und Rückführung zu den Anfängen bis zuletzt auf, vielleicht deshalb, weil sie es besonders genießen möchte, diese Texte in sich stimmig zu machen. Also begann ich nach den Büchern zu suchen, die sie oder ihre dunkle Schwester übersehen haben.«

62
    Daniel musste sich ausruhen. Die Wanderung durch Dunkelheit und Chaos hatte ihm alle Kraft geraubt und jede Hoffnung genommen, zielgerichtet vorgehen zu können und voranzukommen. Er überblickte nicht mehr, an welchem Punkt innerhalb dieses verzerrten Stadtgefüges sie sich befanden, und hatte das entsetzliche Gefühl, den gleichen Weg wieder und wieder zu gehen.
    Vor einem halb zerstörten, schräg geneigten Haus blieb er stehen und schob ein zersplittertes Tor auf, um sich auf eine steinerne Gartenbank zu setzen; allerdings konnte man deren Umgebung nicht mehr als Garten bezeichnen. Die Pflanzen hatten sich in traurige tote Objekte mit braunen Rändern verwandelt, doch ehe sie abgestorben waren, hatten die letzten Blumen verrückt gespielt und büschelweise Blüten ausgetrieben, die sofort verwelkt waren und ihn an Krebsgeschwüre erinnerten.
    In Daniels Körper glühte ein schwaches Feuer, über dessen Ursache er nur spekulieren konnte. Vielleicht rührte es daher, dass sich seine Körperchemie gegen die Verschiebung physikalischer Konstanten wehrte. Bald schon würde er einfach aufhören zu existieren – zumindest als lebendiges menschliches Wesen. Er konnte fast sehen, wie er zusammenschmelzen, jedes plausible Muster sprengen und sich – so wie die Blumen – noch angesichts des Todes vervielfachen würde, obwohl es kein Überleben gab.
    Als er die Blumen in die Hand nahm, zerfielen sie zu Staub.
    Er hatte das ferne Schimmern aus den Augen verloren. Inzwischen war an die Stelle der trostlosen umbrafarbenen Dunkelheit
wieder das frühere bleierne Licht getreten. Zerklüftete Erhebungen zeichneten sich als ausgezackte Formen vor dem düsteren Süden ab, aber es waren keine Berge. Er wusste nicht, was für Gebilde es sein mochten.
    Doch schlimmer als das …
    Plötzlich fröstelte er und blickte auf. Offenbar hatte sich Max zu ihm in den toten Garten gesellt – eher Geräusch und Schatten als ein stoffliches Wesen. Beide sahen sie zum Himmel empor, als sie eine gewisse Kälte über ihren Köpfen und im Nacken wahrnahmen. »Irgendetwas frisst den Mond auf«, drang Max’ Stimme schwach durch die eiskalte Luft.
    Was immer es sein mochte, das die bleichen Sterne ausgelöscht und die Leere zwischen ihnen nach oben gedrückt hatte: Den Mond hatte es bis jetzt nicht angetastet. Doch jetzt nahm die blassgelbe Mondsichel eine tiefrote Färbung an, so dass sie einer blutbesudelten Klinge glich. Es sah so aus, als hätte jemand dem Himmel ein Messer ins Fleisch eingerammt. Zugleich stieg im Osten ein Feuerring empor – vielmehr blühte er, sich weiter und weiter aufblähend, plötzlich auf, denn eine Bewegung war in dieser Himmelsrichtung nicht auszumachen. Schließlich nahm er fast ein Viertel des Himmels ein. Und innerhalb dieses Rings schwebte etwas Dunkles, Widerwärtiges aus zähflüssiger Substanz.
    Daniels Augen brannten so, als hätten ihn Nesseln gestreift.
    Der blutrote Mond erbebte und floss danach im Schein des Feuerrings wie geschmolzenes Silber über den Himmel, breitete sich immer weiter aus, bis der grell leuchtende, pulsierende Ring ihn sich einverleibte und nichts mehr von ihm übrig blieb.
    »Wohin wir auch blicken, überall verschluckt der Riss in der Zeit die Welt.« Max ließ sich neben Daniel auf die Steinbank
fallen und versuchte zu schlucken. »Wir befinden uns in ihrem Land!«, würgte er hervor. »Gott steh uns bei!«
    Während der Feuerring und sein dunkler Kern sich weiter ausdehnten, wurde es im Garten kälter und kälter. »Ich habe das schon einmal erlebt«, sagte Daniel. »Bin sozusagen aus der eigenen Haut gefahren, um mich an einen anderen Ort zu flüchten.«
    Max spuckte aus und wischte sich über den Mund.
    Daniel tastete nach den Kästchen in seiner Hosentasche. »Aber wir sind in der Lage, es zu besiegen. Streng dich noch mehr an!« Er stand auf, griff nach Max’ Arm und zog ihn hoch. Die Luft hatte aufgeklart. In der alles vereinnahmenden Dunkelheit konnte Daniel jetzt wieder das bläuliche Glühen ausmachen, wenn es auch so schwach war wie das Funkeln eines Leuchtkäfers in einer Wüstenlandschaft. Der Feuerring hatte das Glühen zwar

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