Die Stadt am Ende der Zeit
Herr. Ich bringe dich dorthin, wo ich bereits war. Es ist südlich von hier, ein grünes Lagerhaus. Ich bin um das Gebäude herumgegangen und habe dabei gemerkt, dass sie da drinnen sind. Doch ich hatte ihnen nichts anzubieten, konnte also auch nicht hoffen, eingelassen zu werden. Nach diesem Sturm, nach diesem Unfall … Die Königin hat’s verpeilt; sie hat wie eine scheue Geliebte an unserem Zielobjekt herumgefummelt und es dann fallen lassen. Nach all dem wusste ich natürlich, dass man mich nicht hereinlassen würde, wie verzweifelt meine Lage auch sein mochte. Aber dich werden sie hereinbitten. Du gehörst dort nämlich hin. Nicht dass ich besonders viel Dankbarkeit von dir erwarte.« Die dicken Finger des Grobians krümmten sich. »Es wird jetzt schlimmer. Ich scheue mich nicht zu sagen, dass …«
Daniel streckte die Hand hoch und blickte über einen langen dunklen Graben hinweg. Früher hatte hier die University of Washington gestanden, wie gewisse Reste bezeugten. Die eingestürzten, eingeschwärzten Gebäude schimmerten wie Glanzkohle. Es gab nur wenige Bauten, die noch einigermaßen intakt aussahen.
»Bibliotheken«, murmelte der Grobian mit ungebremstem Redefluss. »An Bibliotheken kommt die Königin nicht heran –
noch nicht. Aber die Bücher verschlüsseln sich im Moment. Bald werden sie nur noch leere Seiten sein. Und dann können sie nichts und niemanden mehr schützen.«
Die Häuser in ihrer Umgebung nahmen jetzt einen stumpfen, dennoch transparenten Glanz an, als hätte sie jemand aus Kristall herausgeschnitten und mit einem Sandstrahler behandelt. Andere waren in zwei Hälften zerteilt, so dass das schlimm zugerichtete Innere zu sehen war. Doch von den Bewohnern fehlte jede Spur.
»Ich glaube, wir verlassen jetzt die Zone, in der Menschen überhaupt existieren können«, sagte Daniel.
»Und ich glaube nicht, dass ich irgendwas davon kapiere, Professor.«
Mittlerweile war es schon seltsam tröstlich, auch nur die Stimme des anderen zu hören.
»Willst du wissen, was ich anzubieten habe, was ich für uns tun kann?«, fragte der Grobian. »Ich bin ein Glücksjäger. Es gibt Schicksalswandler wie dich, die ihre Steine haben und all das, und es gibt Glücksjäger. Und die Glücksjäger haben eine Muse: Tyche. Eine unbedeutende Muse, aber sie gehört uns. Im Moment ziehe ich jedes bisschen Glück, auf das ich Zugriff habe, auf uns, auf unsere unmittelbare Umgebung. Eigentlich zittern mir dabei leicht die Knie.« Er grinste und sah dabei aus wie ein altersgrauer Schimpanse. »Trotz deines Steins. Falls du zu weit vor mir läufst, garantiere ich für nichts. Wir brauchen einander, Professor.«
Daniel wandte sich nach Süden, falls es überhaupt noch Richtungen auf irgendeinem Kompass gab. »Ich bin kein Professor. «
»Warst du aber mal. Ein Teil meines Jobs ist Detektivarbeit.«
»Und wie soll ich dich dann nennen? Pinkerton?«
Der Grobian kicherte. »Max reicht, solange noch nicht klar ist, ob ich bei dir bleiben will oder es einfach stecke.« Über diese ungewohnte Entscheidungsfreiheit musste er lachen.
Daniel deutete nach Südwesten, in die Richtung, wo der dunkle Himmel schwer über dem Land und der Stadt hing. »Siehst du, was ich sehe? Da drüben?« Die ölig schwarze Dunkelheit war dort nicht so intensiv. Wenn er sich konzentrierte, sah er darin etwas Blasses aufstrahlen, allerdings war der Fleck von hier aus gesehen nicht einmal halb so groß wie sein Daumen.
»Ist für mich nichts Neues. Wegen des gleichen Blauschimmers hab ich dich ja gefunden.«
»Was verursacht das?«
»Die Steine, würde ich sagen. Im Inneren des Lagerhauses befinden sich zwei davon.«
»Wer ist dort?«
»Ein paar Frauen, zwei Schicksalswandler und eine Art Sammler, allerdings steht er nicht mehr in den Diensten unserer Bleichen Gebieterin. Denen geht’s besser als uns und ganz gewiss besser als den anderen armen Seelen da draußen. Trotzdem … Ohne dich würde ich mich dort nicht hintrauen.«
»Warum nicht?«
»Ich habe einen von ihnen gekascht, ihn wie eine Forelle am Haken gehabt und an Land gezogen, auf anständige, faire Sportlerart. Deshalb bin ich dort unerwünscht. Oh, auf dich war Mr. Whitlow angesetzt. Was dich betrifft, habe ich kein schlechtes Gewissen. Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr, denn sie hat uns abserviert.« Er blies die Backen auf, um seine Verblüffung anzudeuten. »Hab nicht gedacht, dass ich entkommen
könnte. Dachte, die Königin würde mich zum Ende meiner Dienstzeit
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