Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear

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einfach wegschnippen, wie Zigarrenasche, direkt in die Gosse.« Er zog eine finstere, betrübte Grimasse. »Hab mehr Lebenslinien in meinem Bündel, als ich dachte. Trotzdem … Das Lagerhaus da drüben ist meine letzte Chance. Mit dir würden sie sich vielleicht anfreunden können, wenn du dich entsprechend einführst. Kann sogar sein, dass sie mich in den Handel mit einschließen.«
    »Was willst du tun, wenn wir dort ankommen?«
    »Mich nützlich machen, wie immer.«
    »Und ihnen Bescheid stoßen, was mich betrifft?«
    »Oh, dich brauchen sie, Professor. Integralläufer ziehen einander an. Schwer, sie getrennt zu halten, wenn ihre Zeit gekommen ist, pflegte Mr. Whitlow zu sagen. Geh nicht so schnell! Hab Erbarmen mit einem alten Mann.«
    Daniel verlangsamte seine Schritte, was ihm mehr als schwerfiel. Doch wenn er allzu schnell vorwärtsdrängte und sich zu weit von Max entfernte, spürte er, wie etwas zerrann – Chancen, Schicksal, vielleicht auch das Glück, das Max so mühevoll herbeizitiert hatte. Möglich, dass sie einander tatsächlich brauchten. Andererseits konnte es natürlich auch sein, dass Max ihm nur etwas vormachte.
    »So eine traurige Stadt«, bemerkte Max. »Hätte nie gedacht, dass ich jemals so was sehen würde. Alle sitzen in der Falle, sind zum Untergang verurteilt, und die Fäden werden ständig kürzer!« Er schnalzte mit der Zunge. Mit dem geröteten Gesicht und den Borstenhaaren, die sich in der trockenen Luft aufgestellt hatten, sah er aus wie ein hässlicher Weihnachtszwerg voll grausamen Humors, den all das irgendwie belustigte. »Können wir von hier aus überhaupt dorthin? Bei einer
solchen Entfernung und dieser schlechten Luft wird’s schwer …« Er fiel hinter Daniel zurück, da er einen Hustenanfall hatte.
    Daniel, auf dessen Stirn sich kalter Schweiß gesammelt hatte, blickte in die Richtung, wo sich früher die Schnellstraße befunden hatte. Sie konnten nicht einfach nach Süden gehen, denn da drüben war die Situation noch chaotischer. Dort sah es so aus, als hätte sich Packeis in einem zufrierenden Fluss gestaut. »Hier entlang.«
    Sie wandten sich nach Westen, wo sie hergekommen waren.
    Das bleierne Licht des Morgens brach kurz durch und verschwand gleich wieder.
    Was von ihrem Teil der großen Welt geblieben war – ihr kleiner Abschnitt von Raum und Zeit –, war so erschüttert, dass er jetzt rapide in Stücke fiel.

    Schließlich erreichten sie eine große, lange Brücke, die noch unversehrt war, aber schwankte und im Zwielicht unheimlich wirkte. Während sie die Brücke betraten, warf Daniel einen Blick über die Brüstung: Das Wasser darunter hatte sich in graugrüne, leicht bewegte Nebelschwaden verwandelt, die nichts Gutes verhießen.
    »Das ist doch nicht die Brücke, unter der dieser Troll wohnt, oder?«, fragte Max.
    »Doch, genau die ist es. Die Aurora-Brücke, unter der ein Troll über Fremont wacht. Allerdings besteht er aus Beton.«
    »Sei dir da bloß nicht so sicher«, bemerkte Max. »Ich hasse Trolle. Hab sie schon immer gehasst.«

61
    Wie ich höre, haben unsere beiden Rivalen sich vor kurzem anheischig gemacht, mit vereinten Kräften in die Schranken zu treten und uns zu einem Büchervergleich nach Gewicht und Zahl herauszufordern … Wo ließe sich eine Waage finden, die Ersteres erfassen, oder ein Rechenmeister, der Letztere bewältigen könnte?
    Jonathan Swift, Ein Tonnenmärchen

    »Was sind diese Dinger eigentlich?« Miriam ließ die Hand über den beiden grauen Kästchen schweben, die auf dem Tisch lagen. »Alles scheint auf sie hinzudeuten, jeder scheint sie zu begehren, aber ich habe keine Ahnung, was sie sind oder tun.«
    »Es geht weniger um das, was sie derzeit tun, als um das, was sie tun werden , sobald sie die Chance dazu haben«, erwiderte Bidewell. »Vielleicht erzählt man am besten, wie sie zu uns gelangt sind, doch selbst dann hat man noch keine einfache Erklärung für ihr Potenzial.«
    »Alles andere würde mich auch wundern«, warf Agazutta ein.
    Bidewell entkorkte die zweite Weinflasche, die Miriam mitgebracht hatte. Offenbar trank er gern Wein. Er füllte die Gläser der Damen, doch Jack und Ginny lehnten ab. Jack hatte Alkohol noch nie viel abgewinnen können.
    Bidewell hob sein Glas und brachte einen Trinkspruch aus, in den die Damen einstimmten: »Auf das Überleben, allen Widrigkeiten zum Trotz.«
    »Auf das Überleben«, murmelte Jack und streckte die leere Hand hoch.
    »Wir hätten gern etwas Gewissheit, Conan«,