Die Stadt am Ende der Zeit
abgeschlossen.« Whitlow schüttelte den Kopf. »Könnte uns zu Erbsen zusammenquetschen. Und was dann?«
Glaucous war klar, dass Whitlow und der Nachtfalter ihn in diesem Wirrwarr nur allein zurücklassen mussten, um ihn für immer loszuwerden. Hier würde ihn keine seiner Fähigkeiten retten. Vielleicht hatten sie genau das vor, doch ihm blieb keine andere Wahl als ihnen zu folgen.
»Ich nehme es Ihnen nicht übel, dass Sie mich im Stich gelassen haben«, erklärte Whitlow und musterte ihn mit durchdringendem Blick. »Eine neue Situation, neue Regeln, ganz zu schweigen von der Möglichkeit, eine Scharte auszuwetzen und sich wieder ins rechte Licht zu setzen. In der Tat, reden wir besser nicht davon . Kann ja sein, dass ich Sie im Stich gelassen hätte, wäre es andersherum gewesen.«
»Hat die Gebieterin Sie schon mal hierher mitgenommen?«, fragte Glaucous.
»Was für eine Frage! Sie mag’s getan haben, ohne dass ich mich noch daran erinnere. Und es kann sein, dass Ihre Erinnerung an diesen Ort genauso flüchtig ist.«
»Aber ich erkenne einiges wieder«, entgegnete Glaucous leise. »Ich erinnere mich an ein knappes Entkommen. Und dass ich zur anderen Seite sehen konnte.«
»Als ich noch jünger war, habe ich das hier für eine Art Jenseits gehalten, Sie nicht?«
»Hab nie viel darüber nachgedacht«, erwiderte Glaucous, und das war kaum gelogen.
»Und ich habe zu fadenscheinigen Rechtfertigungen gegriffen. Habe mir eingeredet, unsere Opfer würden hier vielleicht ganz zufrieden leben, indem sie auf unabsehbare Zeit Dienste
leisten, die auch nicht schlimmer sind als das, was wir und vielleicht auch der Nachtfalter ertragen müssen. Außerdem schlagen sich hier ja auch Fehler nieder. Jäger, die so ungeschickt waren, in einen Zeitriss zu stürzen, sind ebenfalls an diesem Ort gelandet. Und nicht nur wenige in all der Zeit. Wenn so etwas passiert, gibt es kein Zurück. Sie selbst haben im Lauf der Jahre Gefährtinnen verloren. Würden Sie einige von denen gern wiedersehen?«
»Nein, vielen Dank auch«, murmelte Glaucous.
»Vielleicht kommen wir auf dem Weg zum Kreuz an ihnen vorbei. Wir sind die einzigen Überlebenden von all den Tausenden oder Zehntausenden, schätze ich …« Whitlow sah sich um. Schon seit geraumer Zeit hatte die graue Eminenz sie weder durch eine Berührung noch durch ein Aufschimmern auf den richtigen Weg hingewiesen.
Whitlow pfiff leise einen bestimmten Ton, als rufe er einen unsichtbaren Hund. »Wo steckt dieses Geschöpf?«
»Residiert sie in dem Kreuz?«, fragte Glaucous.
Whitlow drehte sich langsam um, wobei der Klumpfuß hart aufsetzte, blickte nach oben, streckte die Hände hoch und tastete mit den Fingern in der Dunkelheit umher, als wolle er nach einer Schnur greifen und sie ans Tageslicht zerren. »Nein, darüber verfügt sie nicht. Der Nachtfalter hat das Kreuz entdeckt. Hier geht es um ein größeres Spiel. Allerdings ist es inzwischen geschrumpft und geschwächt. Alles bewegt sich jetzt auf den kleinsten Punkt zu. Aber das Kleine wird große Bedeutung erlangen, Mr. Glaucous. Und das ist unsere letzte Chance.«
»Ich weiß nicht, was Sie damit meinen, Mr. Whitlow«, erwiderte Glaucous müde. »Immer stellen Sie einen vor alberne Rätsel.«
»Das würden Sie nicht sagen, hätte mich die ganze Geschichte nicht vom Sockel gestürzt. Normalerweise hätten Sie mir zugehört, unterwürfig gelächelt und mich wissen lassen, dass wir einander verstehen. Aber die Befehlskette ist gerissen, und die Kette der Hierarchie hat sich ineinander verknotet und scheppert nur noch hohl. Der Nachtfalter …«
»Ich kann ihn nicht mehr spüren.« Glaucous rückte näher an Whitlow heran. »Wo ist er hin?«
Sofort musterte Whitlow ihn voller Argwohn, doch gleich darauf kaschierte er sein Misstrauen mit ironischer Miene. »Erzählen Sie mir doch von Ihrem Freund, dem schlechten Hirten, ehe Sie sich zum Racheakt entschließen, Mr. Glaucous. «
»Sie haben ihn gefunden. Und ich bin Ihnen gefolgt.«
Als es erneut krachte und sich Staub absetzte, fuhr Glaucous zurück. Whitlow legte Daumen und Zeigefinger so aneinander, dass nur noch eine Erbse dazwischenpasste, schwenkte die Finger vor Glaucous’ Gesicht herum und grinste ihn drohend an. »Schon seit Ewigkeiten wird gemunkelt, einige von der ständigen Verfolgung entnervte Hirten könnten gewisse Einsichten erlangt und sich bestimmte Fähigkeiten angeeignet haben. Demnach lösen sie sich bei Gefahr von ihren persönlichen
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