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Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Jahren.
    Irgendwie schaffte er es, aus diesem abstrakten Kern ohne Mittelpunkt und ohne Hilfe des Nachtfalters den besseren Schicksalsstrang zu wählen – den letzten verbliebenen positiven Schicksalsfaden – , ergriff ihn und spielte ihn wie einen letzten Trumpf aus. Die Münze fiel auf die richtige Seite.
    Und als jemand, der die Wünsche seiner Auftraggeber stets berücksichtigt hatte, sorgte er mit den ihm eigenen Mitteln dafür, dass sowohl der Nachtfalter als auch Whitlow seine Wahl guthießen.
    In der Ferne dringt erneut ein entsetzliches Geheul durch die Trügerische Stadt und hallt von ihren Mauern wider.
    Und die Toten Götter setzen sich in Bewegung.

112
    Die Trügerische Stadt erbebt, fällt auseinander, schrumpft. Jebrassy weiß nicht, wieso er immer noch laufen, immer noch sehen kann.
    Er blickt auf Polybiblios hinunter, der unerklärlicherweise zusammengebrochen ist, und kniet sich neben ihn. Einige Schritte weiter ist auch Ghentun zu Boden gesunken. Bei beiden wabern Substanz und Umrisse.
    »Mit der Kalpa geht es jetzt zu Ende«, sagt Polybiblios. »Das Abkommen des Stadtfürsten zählt nicht mehr. Ich kann nicht viel länger durchhalten als die mir eigenen Schicksalsfäden, die in der Stadt gespeichert sind. Sie alle werden mit der Stadt sterben. Bring das hier gut zu Ende, junger Freund. Du hast alles, was du dazu brauchst – bis auf das hier.« Das Epitom reicht ihm das Objekt, das er schon seit ihrem Aufbruch mit sich herumträgt. Während Jebrassy nach dem kleinen grauen Kästchen greift, blinzelt das Epitom ihm durch das Visier des Schutzanzugs zu und lässt sich wieder auf den schwarzen Boden zurückfallen.
    Gleich darauf geht Jebrassy zu Ghentun hinüber und legt sich neben ihn, um ihn, so gut er kann, festzuhalten. Der Hochgewachsene, der ihn früher angeleitet und beschützt hat, starrt in die eisige Dunkelheit hinauf, doch seine Augen sinken schon tief in die Höhlen.
    »Ich habe mich freiwillig dazu entschlossen, noetisch zu werden«, bekennt er. »Damals war ich noch jung. Das war der einzige Verrat, den ich je begangen habe. Als ich Hüter wurde, habe ich mich zurückverwandelt. Aber meine Schicksalsfäden
wurden durchtrennt, neu geknüpft und mit der Kalpa verbunden. Von hier aus werde ich nirgendwo mehr hingehen. «
    Ghentun tastet nach Jebrassys Hand und spürt das feste Objekt, das sie umklammert. Dann legt er den Finger an die eigene Nase und gibt das sonderbare, explosive Geräusch von sich, das Belustigung andeutet. »Lass mich sehen, was er dir gegeben hat.«
    Jebrassy streckt ihm das Kästchen hin.
    »Öffne es für mich. Zeig es mir.«
    Jebrassy berührt den Deckel, dreht ihn erst in die eine, dann in die andere Richtung und rüttelt daran. Instinktiv weiß er, wie man das Kästchen aufmacht. Als der Deckel das Innere freigibt, ist ein wie neu schimmerndes Stück grauen Metalls zu sehen, in das ein kleiner rötlicher Stein eingebettet ist. Der Stein leuchtet von innen heraus, genau wie früher die Sterne am künstlichen Himmel der Kalpa.
    »Vier ist das Minimum«, sagt Ghentun und wendet die eingesunkenen Augen ab. »Manche sagen auch drei. Aber in Wirklichkeit müssen es vier sein. Es reicht. Sie haben genügend Zeit und Macht gehabt. Und jetzt, ganz am Schluss, trägt der Stadtfürst doch noch den Sieg davon.«
    Die sterbenden Augen fest auf den jungen Nachgezüchteten gerichtet, zerrt der Hüter den Stein mit letzter Kraft aus Jebrassys unnachgiebigen Händen und schleudert ihn auf den mit Unrat übersäten Boden. Der Stein zerbricht zwar nicht, kreischt aber seltsam auf und drängt vom Schutzpanzer des Instandsetzers fort. Als erinnere er sich an etwas Mysteriöses oder den letzten Rest irgendeiner Anweisung, nickt Ghentun, greift mit der anderen Hand nach dem Deckel des Kästchens und inspiziert
das eingravierte Muster. »Warum bei den Spielchen der Eidola mitmachen, junger Nachgezüchteter?«
    Er hält Kästchen und Stein so, dass Jebrassy nicht herankommt, rappelt sich mühsam hoch, drückt beides an seine Brust und schließt die Augen. Jebrassy weiß nicht, was er tun soll, dreht sich vom Hüter zu Polybiblios und wieder zurück, wie ein Kind in einem qualvollen Spiel, das sich grausame Erwachsene ausgedacht haben.
    Das körperliche Fragment des Bibliothekars scheint Jebrassys Entsetzen anfangs zu teilen, doch dann streckt es plötzlich die Hand hoch, als wolle es zum Abschied winken – oder alle weiteren Bemühungen als nutzlos abtun. Innerhalb des Schutzanzugs

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