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Die Stadt der gefallenen Engel

Die Stadt der gefallenen Engel

Titel: Die Stadt der gefallenen Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Wekwerth
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nicht geschehen war.
    Wie seine Lippen wohl schmeckten?
    Kurz darauf ärgerte sie sich über sich selbst. Sie gab sich hier irgendwelchen bescheuerten Tagträumen hin. Mädchen verliebt sich in ihren Lebensretter … Das war doch totaler Mist! Damian war einundzwanzig und bei seinem Aussehen konnte er ganz andere Mädchen haben. Aber trotzdem hatte Lara das Gefühl, dass da irgendetwas zwischen ihnen war.
    »Damian?«
    »Ja?«
    »Gibst du mir deine Handynummer?«
    Er blieb stehen und blickte sie ruhig an. »Ich habe kein Handy.«
    »Du hast kein Handy?«, fragte Lara verblüfft.
    »Nein.«
    »Jeder hat ein Handy.«
    »Dann bin ich eben nicht ›jeder‹.«
    »So habe ich das nicht gemeint.«
    »Ja, ich weiß.«
    »Und deine Freunde? Wie erreichen sie dich?«
    »Ich habe nicht besonders viele Freunde.«
    Es klang, als habe er gar keine.
    »Wie kann ich dich erreichen? Hast du einen Festnetzanschluss?«
    Seine Hand vollführte eine unwirsche Handbewegung. »Nein, habe ich nicht. Warum auch? Wer mir etwas zu sagen, soll es persönlich tun.«
    Seine Augen funkelten. Er wirkte verärgert und Lara wusste nicht einmal, warum. Hatte sie etwas Falsches gesagt? Sie hätte gern nachgehakt, aber eine innere Stimme flüsterte ihr zu, das Thema fallen zu lassen. Also schwieg sie.
    Sie gingen weiter.
     
    Etwas später blieb Damian unvermittelt stehen und bückte sich. Zunächst konnte Lara den Grund dafür nicht erkennen, dann sah sie, wie er seine Hand nach etwas im Gras ausstreckte.
    Ein bunter Schmetterling krabbelte von dem Halm, auf dem er saß, auf den ausgestreckten Finger. Damian richtete sich auf und hielt die Hand dicht vor sein Gesicht. Seine Lippen spitzten sich. Er blies vorsichtig Luft unter die Flügel des Tieres.
    »Warum tust du das?«, wollte Lara wissen.
    »Es ist zu kalt für ihn. Ich will ihn wärmen.«
    »Er ist schön.«
    Damian lächelte. »Er ist mehr als das. Er ist makellos.«
    Der Schmetterling spreizte seine Flügel und drängte dem warmen Atem entgegen.
    »Bald wird er sterben«, sagte Damian ruhig.
    »Warum sagst du das?«
    »Weil es wahr ist.« Damian sah sie ernst an. »Es ist der Kreislauf des Lebens. Unveränderlich und scheinbar grausam. Leben muss vergehen, damit neues Leben entstehen kann.« Er hob seine Hand etwas an. »Aber dieser Schmetterling war eine Zeit lang Teil des Ganzen. Seine Schönheit hat die Welt ein wenig reicher gemacht. Nun ist es für ihn Zeit zu gehen.«
    »Das ist traurig.«
    »Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Es kommt auf den Blickwinkel des Betrachters an.«
    »Und wie siehst du es?«
    »Jetzt und hier ist er lebendig und wunderschön. Das ist alles, was zählt. Es gibt keine Zukunft, nur ein Jetzt, das vergeht und zu einem neuen Jetzt wird. Immer und immer wieder, bis in alle Ewigkeit.«
    »Das klingt, als ob du dir viele Gedanken über die Welt machst. Über alles.« Lara konnte ihre Verwunderung über Damians Worte nicht verbergen. Ob Ben solche Worte auch nur jemals gedacht hatte?
    »Nein, tue ich nicht, aber ich kann Wahrheit erkennen, wenn ich sie sehe.«
    Lara trat einen Schritt näher. »Darf ich ihn einmal nehmen?«
    »Ja, aber sei vorsichtig.«
    Er hob seine Hand, Lara streckte ihren Zeigefinger aus, und als Damian sich ein wenig bewegte, krabbelte der Schmetterling auf Laras Finger. Lara hauchte ihn sanft an.
    »Lass ihn fliegen«, meinte Damian.
    »Ja, er soll fliegen.« Lara warf das Tier in die Luft, das kurz mit den Flügeln flatterte und wenige Meter durch die Luft taumelte, bevor es zu Boden fiel.
    »Oh nein«, rief Lara aus. »Der arme …«
    Sie wollte zu dem Schmetterling gehen, aber Damian legte seine Hand auf ihren Arm und hielt sie zurück. »Nein, lass ihn. Seine Zeit ist gekommen.«
    Traurig wandte sich Lara ab.
    Weder sie noch Damian sahen, dass die Flügel des Tieres zu Stummeln verbrannt waren.
     
    Sie nahmen ihren Spaziergang wieder auf. Lara hing ihren Gedanken nach. Damian war so viel erwachsener als die Jungen, die sie kannte. Und er war geheimnisvoll. Lara spürte, dass er irgendetwas vor ihr zu verbergen versuchte. Umso stärker war diese brennende Neugierde in ihr, alles über ihn und sein Leben wissen zu wollen. Allerdings sie hatte keine Ahnung, ob er genauso fühlte. Was mochte er über sie denken? Ob er einfach nur irgendein beliebiges Mädchen in ihr sah, das ihm zufällig über den Weg gelaufen war? Insgeheim hatte sie gehofft, dass er sich für sie interessieren würde.
    »Was hast du nach dem Abi vor?«, fragte Damian in die

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