Die Stadt der gefallenen Engel
Kampfeswillen.
Leise stieg Arias die Treppe hinauf. Das Haus wirkte von außen nicht ungewöhnlich, ein ganz normales Mietsgebäude, wie es so viele in der Stadt gab. Aber Arias wusste, dass dies bloß Tarnung war, denn sämtliche Mieter waren in Wahrheit Dämonen, die nur dann menschliche Gestalt annahmen, wenn sie auf die Straße gingen oder andere Menschen in ihrer Nähe wähnten.
Auf jedem Stockwerk gab es nur eine Wohnung, das würde die Sache einfacher machen; trotzdem gab es keinen Grund, unachtsam zu sein. Arias sank neben der ersten Tür auf die Knie. Die beiden anderen Krieger taten es ihm nach und gemeinsam flüsterten sie das Gebet und baten darum, falls sie heute sterben sollten, dass ihre Seelen gerettet wurden. Als das Gebet gesprochen war, richtete sich Arias geräuschlos auf. Der Kampf konnte beginnen.
Damian und Lara fuhren durch das nächtliche Berlin. Sie wusste nicht, woher Damian das Auto aufgetrieben hatte, aber sie genoss es, nicht die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen zu müssen. Es war ein schwarzer Opel Diplomat, Baujahr 1966 – so hatte Damian Lara stolz erzählt –, lang gestreckt und breit, mit schwarzem Vinyldach und dicken Reifen. Der Motor brummte tief vor sich hin und ließ die Sitze vibrieren, wenn Damian beschleunigte.
Die Lichter der Straßenlaternen huschten durch das Fahrzeug und immer wieder blickte Lara zu Damian hinüber, dessen Gesicht glücklich und entspannt wirkte.
»Männer sind alle gleich«, meinte sie.
»Was?«
»Na, mit eurem Techniktrip, besonders wenn es um Autos geht. Da dreht ihr alle vollkommen durch.«
»He, bloß weil es mir Spaß macht, mit dieser Karre zu fahren, heißt es noch lange nicht …«
»Oh doch!«
Er grinste. »Ich glaube, du hast recht. Es ist aber auch ein geiles Gefühl.«
»Wo hast du das Auto her?«
»Von einem Freund.«
»Ich dachte, du hast keine Freunde.«
»Das habe ich nicht gesagt, ich bin nur einfach wählerisch.«
»Und ein cooles Auto hilft sicherlich dabei, dich als Freund zu gewinnen.«
»So ist es!«
Lara musste laut lachen. »Ist es noch weit?«
»Nein, wir sind gleich da.«
Sie fuhren jetzt durch ein Industriegebiet und die Landschaft wurde zusehends eintöniger. Die gepflegten Häuser der Stadt verschwanden hinter ihnen und machten Platz für lang gestreckte Firmengebäude, die allesamt schon bessere Zeiten gesehen hatten.
Modrige Luft drang durch das geöffnete Fenster in den Wagen. Der Fluss konnte nicht weit entfernt sein.
Lara blickte hinaus und erschauerte. Im trüben Licht der wenigen Laternen wirkte das ganze Gebiet vollkommen unbewohnt. So als hätten hier vor langer Zeit Menschen gelebt, die eines Tages beschlossen hatten, diesen trostlosen Ort zu verlassen und ihr Glück woanders zu suchen.
»Und hier hat deine Freundin ihr Atelier?«
»Etwas Besseres kann sie sich nicht leisten.«
»Dann scheint sie nicht viel mit ihrer Kunst zu verdienen.«
Lara bereute den Satz, kaum dass sie ihn ausgesprochen hatte.
»Du kennst Marika nicht, also urteile nicht über sie. Erfolg und Können haben nicht immer etwas miteinander zu tun. Es gibt auch so etwas wie Glück. Man muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein und die richtigen Leute treffen.«
»Tut mir leid, war ein blöder Spruch. Sauer?«
»Schon gut.«
Aber sie spürte, dass eine Veränderung mit ihm vorgegangen war. Sein Gesicht wirkte hart im blassen Licht der Armaturenbeleuchtung.
»Willst du mir etwas über Marika erzählen?«
»Nein. Du wirst sie nachher kennenlernen und ich möchte, dass du ihr vorurteilsfrei gegenübertrittst.«
Wie geheimnisvoll … Marika scheint ja eine ganz tolle Frau zu sein, dachte Lara und spürte, wie ihre Vorfreude auf den Abend langsam verflog.
Kies knirschte unter den Rädern, als Damian von der Straße abbog und durch ein großes Tor fuhr.
Das Gelände sah nicht anders aus als all die anderen in der Nachbarschaft. Ein Maschendrahtzaun spannte sich zu einem Viereck, in dessen Mitte sich ein von Strahlern angeleuchtetes, flaches Gebäude am Boden duckte.
Das graue Wellblechdach, das sich darüber spannte, war fleckig und wies Moosbesatz auf. Es gab keine Fenster, zumindest nicht an der Vorderfront, nur eine schmutzige Backsteinmauer, an die sich Unkraut klammerte.
Durch eine offen stehende Eingangstür drang rotes blitzendes Licht nach draußen. Links neben der Tür war ein Stoffbanner aufgespannt, von dem zwei faszinierend grüne Augen in den Hof hinabstarrten. Darunter standen zwei Wörter:
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