Die Stadt der gefallenen Engel
Lächeln als Werner Grunbach vorgestellt hatte – ein Historiker, wie ihr Großvater. Er redete und redete, doch Lara interessierten seine ausschweifend erzählten Geschichten nicht. Immer wieder warf sie einen Blick auf die Küchenuhr und wurde zunehmend nervöser. Grunbach schlürfte laut aus seinem Glas, das einen zwanzig Jahre alten Single-Malt enthielt, wie er Lara erklärt hatte. Eichenfasslagerung.
Der Mann, der schätzungsweise Anfang siebzig war, langweilte Lara mit seinem Geschwätz zu Tode. Am liebsten hätte sie ihn zum Teufel geschickt, aber zum einen saß sie am Küchentisch direkt an der Wand und sie hätte zwei andere Personen auffordern müssen, sie durchzulassen, und zum anderen fühlte sie sich verpflichtet, die Gäste ihrer Großeltern höflich zu behandeln. So blieb ihr nichts als die Hoffnung, dass Grunbach bald ein willigeres Gesprächsopfer erspähte, bis dahin musste sie sein sinnloses Gelaber wohl einfach ertragen.
In ihr brodelte es vor Ungeduld. Wo war Damian? Weshalb war er noch nicht hier? Sie spürte Unruhe in sich aufsteigen, so als sei er in Gefahr, aber das war natürlich eine Reaktion, für die es keinen Grund gab. Dennoch konnte Lara keine Sekunde mehr länger ruhig sitzen bleiben.
»Entschuldigen Sie mich«, brach es aus Lara heraus, als sie von ihrem Stuhl aufsprang.
Das enttäuschte Gesicht von Werner Grunbach nahm sie gar nicht mehr wahr, als sie sich ihren Weg aus der Küche hinaus bahnte.
Der Tod war nahe, das Erlöschen seiner Seele nur noch einen Wimpernschlag entfernt, aber Damian fürchtete sich nicht. Eine tiefe Ruhe hatte ihn erfasst. Sein Schicksal würde sich nun erfüllen. Sein Weg war zu Ende.
»Halt!«, befahl plötzlich eine tiefe, melodische Stimme.
Er schlug die Augen auf und sah, wie Grum’aak herumwirbelte, beide Pranken herausfordernd ausgestreckt. Sechs Engel waren erschienen. Krieger des Lichts, in langen weißen Gewändern. In ihren Händen lagen Waffen. Drei von ihnen trugen leuchtende Speere, zwei Engel hatten Kampfposition eingenommen, die Schwerter stoßbereit erhoben. Nur der Anführer war unbewaffnet.
Gabriel. Der erste Krieger Gottes auf Erden.
Grum’aaks Augen rollten in den Höhlen. Dampf quoll aus seinen Nüstern. Zwischen den gefletschten Zähnen tropfte Speichel hervor und lief den bulligen Hals hinab.
»Das ist nicht euer Kampf«, zischte er. Drohend fuhr er seine messerscharfen Krallen aus.
Gabriel lächelte schmallippig. »Nicht?«
Ein zorniges Brüllen war die Antwort. Grum’aak sprang nach vorn, seine Pranken fuhren durch die Luft, aber sie fanden kein Ziel. Die sechs Engel hatten synchron eine Drehung ausgeführt und waren dabei gleichzeitig zur Seite ausgewichen. Dann kamen die Waffen zum Einsatz. Die Schwerter drangen tief in den Leib des Dämons ein, während die Speerspitzen von drei Seiten den Hals durchbohrten. Grum’aak wurde in der Vorwärtsbewegung abrupt gestoppt. Verblüffung lag in den geschlitzten Pupillen. Er versuchte, an sich herabzusehen, die Wunden in seiner Körpermitte zu begutachten, aber die Speere verhinderten es.
»Ihr sollt verflucht sein«, röchelte der Dämon.
Gabriel gab einen lautlosen Befehl. In einer einzigen fließenden Bewegung wurden die Waffen gleichzeitig zurückgezogen. Aus den Wunden leckten rote Feuerzungen, dann verging Grum’aak in einem Flammensturm.
Die Engel traten zurück. Ruhig sahen sie Damian an. In ihren Augen lag kein Hass, nur Mitleid.
Er blickte auf die Verletzung an seinem Oberarm und stellte befriedigt fest, dass die Wunde sich zu schließen begann. Auch der zerfetzte Rücken heilte. Aber die Selbstheilung forderte ihren Preis. Seine Kraft ließ nach. Seine Glieder zitterten. Erschöpft sank er auf die Knie. Das Gesicht zum Boden gewandt, fragte er leise: »Warum hast du das getan, Gabriel? Warum hilfst du mir?«
Der Engel schwieg. Damian hob den Kopf und schaute ihn direkt an.
»Warum wollte er dich töten?«, fragte Gabriel.
Der dunkle Engel seufzte. »Es gibt Dinge, die du nicht wissen musst.«
»Muss ich nicht?« Gabriel ging einen Schritt auf ihn zu. Seine Hand legte sich unter Damians Kinn. Sanft hob er dessen Kopf an. »Ich bin neugierig. Warum versucht ein Sklave, seinen Herrn zu töten? Und du bist doch sein Herr, sein Anführer? Er ist einer deiner Jäger, warum also lauert er dir in der Dunkelheit auf?«
»Gabriel, ich kann es dir nicht sagen.«
»Du schuldest mir dein Leben.«
»Ich weiß … trotzdem.«
Der Engel sah ihn eindringlich an.
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