Die Stadt der gefallenen Engel
»Dieses Mädchen. Ich weiß, dass du ihretwegen hier bist. Ich ahne ihre Bedeutung, aber ich verstehe nicht, was du mit ihr vorhast. Was ist Satans Plan für Lara?«
»Auch das kann ich dir nicht sagen.« Während seine Wunden heilten, verließen ihn seine Kräfte mehr und mehr. Er war kurz davor, ohnmächtig zu werden. Jedes Wort verließ nur noch unter großer Anstrengung seine Lippen.
»Vertraue mir. Wenn … es … so weit ist, wirst du alles erfahren.«
Gabriels Blick wurde eindringlich. »Du verlangst viel.«
»Ja«, ächzte Damian. »Aber … der … Zeitpunkt …« Sein Oberkörper schwankte wie Weizen im Wind. »Bald … Lara … ist in … großer Gefahr. Die Hölle wird …«
Mit einem leisen Stöhnen fiel er nach vorn aufs Gesicht und rührte sich nicht mehr.
Gabriel sah auf die bewusstlose Gestalt herab. Einer der anderen Streiter trat vor.
»Er ist ihr Anführer. Warum töten wir ihn nicht?«
Gabriel wandte den Kopf. Nachdenklich blickte er Sanael an. »Irgendetwas geht vor. Wir müssen wissen, was es ist.« Er deutete mit der Hand auf den Ohnmächtigen. »Er kennt die Antworten auf all unsere Fragen, aber wir können ihn nicht zwingen, es uns zu sagen. Damian ist eine wichtige Figur in einem großen Spiel. Er gehorcht Satan nicht mehr und wir müssen wissen, warum. Ich kann es fühlen, dass eine große Veränderung bevorsteht. Was immer es ist, wir müssen darauf vorbereitet sein.« Gabriels Hand legte sich auf die Schulter des Engels. »Aus diesem Grund töten wir ihn nicht.«
43.
Lara war auf der Suche nach ihrem Großvater. Sie wollte wissen, was er an diesem Abend mit Damian bereden wollte. Als sie sich in Richtung Bibliothek bewegte, sprach sie überraschend eine Stimme an.
»Ah, das Fräulein Winter. Ich wünsche einen guten Abend.«
Sie wandte den Kopf und sah direkt in die Augen von Herrn Fischer. Der alte Buchhändler hatte sich in Schale geworfen. Er trug eine braune Cordhose, ein dunkelblaues Hemd und ein Tweedsakko. Irgendwie passte alles zwar nicht so recht zusammen, aber die Sachen waren sauber und ordentlich gebügelt. Die weißen Haare standen wie ein Heiligenschein vom Kopf, während wässrige blaue Augen sie freundlich betrachteten.
»Guten Abend«, erwiderte Lara höflich, aber zurückhaltend. Sie hatte das merkwürdige Verhalten des Alten nicht vergessen, aber jetzt hatte sie andere Dinge im Kopf. »Mein Großvater wird sich freuen, Sie zu sehen. Er hat schon von Ihnen gesprochen.«
»Hat er das?« Die blassen Augen blitzten vergnügt auf, dann wurde der alte Herr ernst. »Ich wollte mich noch bei Ihnen für unser unfreundliches Verhalten …«
Lara winkte ab. »Kein Problem. Darüber müssen wir nicht reden.«
Sie sah, wie er erleichtert aufatmete. »Es wäre mir sehr peinlich, wenn Sie einen schlechten Eindruck von mir und meinem Enkel gewonnen hätten.«
»Machen Sie sich keine Gedanken darüber.«
Der Alte nestelte an seiner Brille herum, nahm sie schließlich ab und zog ein Taschentuch aus der Hosentasche. Eifrig begann er, die Gläser zu putzen. »Hat dem Herrn Professor Ihr Geschenk gefallen?«
»Ja, sehr. Nochmals danke für die Beratung.«
»Nicht der Rede wert. Das habe ich gern für einen alten Freund getan.«
Lara war zwar nicht ganz bei der Sache, aber ihr fiel auf, dass auch der Buchhändler plötzlich von Freundschaft sprach.
Der nächste Satz traf sie wie ein Schlag ins Gesicht.
»Wussten Sie, dass ich Ihren Vater kannte?«
Ihr Herz klopfte wild und sie spürte, wie ihr vor Aufregung das Blut in die Wangen schoss. »Sie kannten ihn?«
»Aber ja, sehr gut sogar. Ihr Großvater und er besuchten mich oft in meinem Laden. Manchmal haben wir gemeinsam Tee getrunken und geplaudert, aber …« Er geriet ins Stocken und wirkte plötzlich sehr verlegen. »… das war, bevor Sie geboren wurden. Danach …«
… habt ihr euch nicht mehr gesehen, vollendete Lara den Satz in Gedanken. Klar, dann war ja ich auf der Welt und mein Vater hat sich aus dem Staub gemacht.
Heiße Wut stieg in ihr auf, aber sie zwang sich zur Ruhe. Der Alte konnte nichts dafür, dass ihr Vater ein Arschloch war. Der Buchhändler brabbelte munter vor sich hin, aber Lara hörte nur noch mit halbem Ohr zu.
»Es müsste sogar irgendwo ein Foto von uns allen geben. Damals hat meine selige Mathilde noch gelebt. Es muss wohl siebenundsechzig gewesen sein … ein Jahr vor ihrem Tod … mein Sohn war noch sehr klein, als …«
Lara blickte Hilfe suchend nach ihrer Großmutter, aber
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