Die Stadt der Heiligen (German Edition)
warf er ihr jedoch einen warnenden Blick zu. Dann redete er weiter auf den Geistlichen ein. «Wenn Ihr uns nun zu besagtem Ort führen würdet, Bruder Bartholomäus. Ihr versteht, wir möchten uns nicht zu lange hier aufhalten. Und ich kann Frau Marysa nicht zumuten, lange in dieser Hitze zu warten.»
«Aber ja, folgt mir!» Bruder Bartholomäus führte sie nicht zum Portal, sondern um die neuerbaute Matthiaskapelle herum, an deren Obergeschoss ein Trupp Bauarbeiter mit einem quietschenden Lastkran Steine emporhievte. Sie betraten den Dom über eine provisorische Seitenpforte, die wohl den Bauleuten, die an der neuen Chorhalle arbeiteten, als Eingang diente. Der riesige Kuppelbau war nun nach fast sechzigjähriger Bauzeit beinahe vollendet, und obwohl noch überall mehr oder weniger behauene Steine und Mörtelkübel herumstanden, der Boden von Staub, Holzspänen und Bauschutt bedeckt war und an den Wänden ringsum hölzerne Gerüste bis in schwindelerregende Höhe wuchsen, konnte man jetzt schon erkennen, welch herrliches Abbild des Himmlischen Jerusalems den Baumeistern hier gelungen war. Die Dachkonstruktion war noch nicht vollendet und bestand bisher nur aus einem Gerippe von Balken und Streben, durch das Sonne, Wind und Regen ungehindert Einlass fanden, doch auch, wenn das Dach einmal fertig war, würde die Halle in gleißendem, göttlichem Licht erstrahlen, denn aus den unzähligen in den Himmel strebenden Rundbögen, aus denen die Wände ringsum bestanden, würden einmal riesige Glasfenster entstehen. Unzählige Arbeiter und Bauhelfer arbeiteten eifrig auf die Vollendung des Bauwerks hin. Überall wurde gehämmert, gesägt, gelacht und geflucht. Trotzdem wurden die Messen und Stundengebete wie üblich im Dom abgehalten und die Pilger zu bestimmten Zeiten darin herumgeführt. Der Bau der Chorhalle dauerte nun schon so lange, dass sich die Aachener an den Lärm der Baustelle gewöhnt hatten und ihn kaum mehr wahrnahmen.
«Wenn Ihr hier warten wollt.» Bruder Bartholomäus wies auf eine Nische, in der Säcke mit feinem Sand gelagert wurden. «Ich hole den Herrn Scheiffart.»
Christophorus nickte ihm zu und verschränkte die Arme in den Ärmeln seiner Kutte. Kaum war der Geistliche jedoch verschwunden, winkte er Marysa, ihm weiter in den Dom zu folgen.
«Was soll das bedeuten?» Marysa blieb, wo sie war. «Was habt Ihr mit den Kanonikern zu tun, und warum lässt man Euch so einfach hier herein?»
Christophorus kehrte zu ihr zurück. «Weil ich darum gebeten habe. Der Domherr Johann Scheiffart war sehr erfreut, als ich ihm meine Hilfe in diesem schrecklichen Unglücksfall angeboten habe.» Er winkte ihr erneut, ihm zu folgen. «Kommt, ich möchte Euch zeigen, wo man Klas gefunden hat.»
Marysa folgte ihm eilig, da er mit raschem Schritt voranging. «Warum?», wiederholte sie ihre Frage. «Das Marienstift ist doch nicht auf die Hilfe eines Ablasskrämers angewiesen.»
Christophorus drehte sich kurz zu ihr um. «Auf die Hilfe eines Ablasskrämers nicht, da habt Ihr recht. Sehr wohl aber auf die eines Inquisitors.»
Marysa schnappte nach Luft. «Eines was?»
Christophorus war neben dem großen steinernen Altar stehen geblieben. «Ich habe Herrn Scheiffart mitgeteilt, dass ich Mitglied der Heiligen Inquisition bin.» Er deutete auf einen Punkt zwischen dem Altar und dem Sockel, auf dem der wertvolle, über und über mit Gold verzierte Marienschrein thronte. «Dort hat er gelegen.»
9. Kapitel
W as soll das heißen, Ihr seid Mitglied der Inquisition?» Entsetzt sah Marysa den Dominikaner von der Seite an. Dieser legte jedoch nur den Zeigefinger an die Lippen und deutete mit dem Kinn in die Richtung, aus der nun Schritte und Stimmen zu vernehmen waren. Augenblicke später bogen der Domherr Johann Scheiffart und Bruder Bartholomäus um einen der provisorischen Stützpfeiler der neuen Chorhalle.
«Ah, Bruder Christophorus!» Mit ausgebreiteten Armen kam Scheiffart näher. Auf seinem schwammigen Gesicht lag ein breites Lächeln. «Sehr schön, dass Ihr schon heute hergekommen seid. Ihr könnt Euch ja denken, in was für einer misslichen Lage …» Er brach mit einem Blick auf Marysa ab. «Wie kommt es, dass Ihr die Frau hierherbringt?»
Christophorus’ Miene und Haltung veränderten sich in Gegenwart des Kanonikers so drastisch, dass Marysa staunte. Er setzte ein ernstes Lächeln auf, das sie ob seiner Kälte schaudern ließ. Sein Rücken straffte sich, und alles an ihm wirkte mit einem Mal steif und kantig. Da
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