Die Stadt der Heiligen (German Edition)
er etwas größer war als der Domherr, blickte er streng auf ihn herab. «Diese Frau ist die Gemahlin des Mannes, den Ihr in der Acht festhaltet, weil er des Mordes an seinem Gesellen beschuldigt wird.»
«Das weiß ich. Aber …»
«Und da ich ein guter Freund der Familie Schrenger bin», unterbrach Christophorus Scheiffarts Einwand, «hielt ich es für angebracht, sie bei ihrem Gang zu den Schöffen zu begleiten, wo sie ihre Aussage machen will. Sie war so freundlich, den Weg dorthin hier zu unterbrechen und zu warten, bis ich mich ausreichend umgesehen habe.»
«Ihr seid mit der Familie Schrenger gut bekannt?» Scheiffart war sichtlich verblüfft.
«Ich war der Weggefährte von Aldo Schrenger, Frau Marysas Bruder, auf der Pilgerreise nach Santiago de Compostela. Leider ist er auf dem Rückweg von der heiligen Stätte verstorben.»
«So, nun ja.» Scheiffart blickte noch immer etwas irritiert drein. Dann wandte er sich an Marysa. «Euer Bruder ist also auf einer Pilgerreise zu Ehren Gottes und des heiligen Jakobus verstorben? Das tut mir leid. Aber seid nicht bekümmert, denn wer auf einer Pilgerreise stirbt, wird ganz sicher das Himmelreich erlangen.»
«Gewiss.» Marysa senkte den Kopf, denn Scheiffarts stechender Blick war ihr unangenehm.
«Nun sollten wir uns aber dem Ort des Unglücks zuwenden», sagte Christophorus. «Wenn ich es recht verstanden habe, so fandet Ihr den toten Jungen dort vor dem Marienschrein?»
***
«Habt Ihr den Eisenhaken gesehen?», fragte Christophorus Marysa eine Weile später. Sie hatten den Dom wieder verlassen und den Kaxhof überquert, und Christophorus blieb neben der Treppe zum Eingang des Ratsgebäudes stehen. «Er ist viel zu schwer, als dass ihn jemand im Affekt als Waffe gebrauchen könnt.»
Marysa musste ihm zustimmen. Die Eisenstange mit dem Haken wurde benutzt, um den großen Leuchter, den Kaiser Friedrich Barbarossa dem Dom gestiftet hatte, zu bewegen oder zu drehen, wenn dieser gereinigt oder mit neuen Kerzen bestückt wurde. Niemand würde auf die Idee kommen, das schwere Gerät während eines Gerangels als Schlagwaffe zu ergreifen.
«Dann glaubt Ihr, jemand hat Klas aufgelauert?»
«Ich bin fast sicher, dass es so war», stimmte Christophorus zu. «Also scheidet ein Raubmord ganz sicher aus. Und wenn, wie Scheiffart vermutet, ein Streit zwischen Klas und Eurem Gemahl stattgefunden haben sollte, während dessen der Junge erschlagen wurde, würde Meister Markwardt wohl kaum diesen Haken geholt und ihn ihm hinterrücks übergezogen haben.»
«Warum habt Ihr das dem Domherrn nicht gesagt?»
«Weil er es sich selbst denken kann.» Christophorus verschränkte die Arme vor dem Leib. «Er hat sich eine Theorie zurechtgelegt, die es ihm erlaubt, schnell einen Täter zu überführen. Das erwartet man von ihm. Doch sie wird vor keinem Gericht standhalten, da könnt Ihr gewiss sein.»
«Aber wer sollte denn Klas dort im Dom aufgelauert haben?» Ratlos blickte Marysa an der Fassade des Rathauses empor. «Und warum?»
«Um diese Fragen zu beantworten, müssten wir wissen, was Klas überhaupt im Dom wollte. Er hielt sich zu einer Zeit dort auf, als außer einigen Bauarbeitern niemand dort war. Wie ich erfahren habe, war der Dom zu dem Zeitpunkt für die Pilger nicht zugänglich, und die Kanoniker waren entweder mit den Vorbereitungen für die Heiltumsweisung beschäftigt oder mit der Vergabe der Händlernischen.» Langsam ging Christophorus neben Marysa auf und ab. «Man kann also vermuten, dass Klas sich dort mit jemandem treffen wollte. Möglicherweise mit jemandem, der etwas mit der gefälschten Reliquie zu tun hat.»
Als Marysa etwas einwenden wollte, hob er rasch die Hand. «Möglicherweise sage ich, weil wir nicht sicher wissen, ob sein Tod wirklich etwas damit zu tun hat. Es könnte auch sein, dass er das Reliquiar nur zufällig bei sich trug und seine Ermordung ganz andere Gründe hatte.»
Verzagt ließ Marysa die Schultern hängen. «Wahrscheinlich werden wir nie erfahren, wer ihn getötet hat. Die Stadt ist voll von Pilgern. Wie sollen wir unter Tausenden von Fremden seinen Mörder finden?»
Christophorus blieb stehen und blickte ihr leicht verärgert ins Gesicht. «Ihr wollt aufgeben? Wir haben doch noch nicht einmal richtig angefangen, Nachforschungen anzustellen. Und wer sagt Euch überhaupt, dass einer der Pilger Euren Gesellen umgebracht hat? Ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass es jemand war, der ihn schon länger kannte?»
«Jemand aus der
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