Die Stadt der Heiligen (German Edition)
darauf legte, dass sie sich in seinem Geschäft nützlich machte. Ihre recht ansehnliche Mitgift war ihm sehr willkommen gewesen, und hätte sie mehr Zeit zum Nachdenken gehabt, wäre ihr wohl bewusst geworden, dass dies der einzige Grund gewesen war, aus dem er sie nach dem Tod ihres Vaters umworben hatte.
Reinold hatte ihr gleich in der Hochzeitsnacht unmissverständlich klargemacht, dass er ihre Aufgabe ausschließlich darin sah, seinen Haushalt zu beschicken, ihm Kinder zu gebären und seinem Wohl zu dienen. Ansonsten wünschte er, nicht von ihr behelligt zu werden.
Die Kinder ließen noch auf sich warten; Marysa war sich nicht sicher, ob sie darüber froh oder unglücklich sein sollte. Reinold hatte zwar schon hin und wieder eine Bemerkung darüber gemacht, schien es jedoch auch nicht wirklich eilig zu haben, einen Nachkommen in die Welt zu setzen.
Das alles wäre Marysa durchaus erträglich gewesen, wenngleich sie sich auch von Zeit zu Zeit langweilte. Was ihr jedoch sehr zu schaffen machte, war Reinolds sauertöpfisches Gemüt. Er mochte keine Geselligkeiten, von wenigen Zechgelagen im Zunfthaus einmal abgesehen, und er schien es nicht zu ertragen, wenn sie fröhlich war. Deshalb beschwerte er sich jedes Mal, wenn er sie singen hörte, schimpfte, wenn sie länger, als er es für nötig hielt, mit Veronika oder den Nachbarinnen zusammen war, und hatte ihr sogar untersagt, bei Festlichkeiten, zu denen sie eingeladen wurden, zu tanzen. Und als sei dies nicht genug der Einschränkung, durfte sie sich auch nicht mehr selbst den Stoff für ihre Kleider aussuchen.
Sie liebte satte, kräftige Farben und hatte, dessen war sie sich bewusst, den guten Geschmack und die Freude an Geschmeide von ihrer Mutter geerbt. Doch da auch dies eine Sache war, die ihr Freude bereitete, hatte Reinold bestimmt, dass nur er ihr Kleider anfertigen lassen durfte. Dies hatte in kurzer Zeit dazu geführt, dass ihre Truhen mit schrecklichen hellgrünen, braunen oder ockergelben Kleidern und Surcots gefüllt waren und sie sogar einige ihrer Lieblingskleider dem Lumpenknecht des Leprosenhauses Melaten hatte mitgeben müssen.
Marysa zuckte erschrocken zusammen, als es plötzlich laut an der Haustür klopfte. Sie riss sich von ihren melancholischen Gedanken los und hoffte insgeheim, dass die Abgesandten des Schöffenkollegs gekommen waren, um die Werkstatt zu durchsuchen. Je schneller dies geschah, desto eher wäre Reinolds Unschuld bewiesen. Als sie die Tür öffnete, sah sie sich jedoch dem Ablasskrämer gegenüber.
«Bruder Christophorus!» Überrascht trat sie einen Schritt aus der Tür. «Was führt Euch zu mir?»
Christophorus lächelte verbindlich. «Ich versprach Euch, mich noch einmal nach Eurem Befinden zu erkundigen. Wie ich vernahm, hat man Euren Gemahl verhaftet, was ein weiterer Grund für mich ist, Euch aufzusuchen. Denn ich werde Euch in dieser Angelegenheit natürlich beistehen.»
«So, werdet Ihr das?» Marysa verschränkte die Arme vor dem Leib. «Und wie soll Euer Beistand aussehen? Ganz abgesehen davon, dass ich ihn nicht erbeten habe.»
«Um Euch dies zu erklären, wäre es sehr freundlich, wenn Ihr mich ins Haus lassen würdet.» Er lächelte gleichbleibend freundlich, musterte sie dabei jedoch verstohlen. Sie trug wie am Vortag eine schlichte Haube mit Rise und Gebende, von der er argwöhnte, dass sie sie bei der derzeitigen Sommerhitze ziemlich quälen musste. Was ihn jedoch noch mehr verwunderte, war die unsägliche Hässlichkeit des Surcots, den sie über einem braunen Unterkleid trug und dessen ockergelbe Farbe sich nicht mit ihrer hellen Haut vertrug. Er hatte selten eine Frau getroffen, die sich mit weniger Sinn für Geschmack kleidete. Doch das konnte ihm letztlich gleich sein, denn er war ganz sicher nicht gekommen, um mit ihr über Kleiderfragen zu diskutieren.
«Das werde ich ganz gewiss nicht tun», antwortete Marysa ihm, nachdem sie an ihm vorbei zur Straße geschaut und dort ein paar der Nachbarinnen entdeckt hatte, von denen eine ihr aufmunternd zulächelte und winkte. «Oder wollt Ihr mich in Verruf bringen? Mein Gemahl im Gefängnis, das Gesinde außer Haus … Ich werde keinen Mann, auch keinen Geistlichen, unter diesen Umständen ohne weitere Begleitung hereinbitten.»
Christophorus warf einen kurzen Blick über die Schulter zur Straße und nickte dann. «Wie Ihr wollt. Dann bitte ich Euch jedoch, mich zum Parvisch zu begleiten. Auf dem Weg dorthin kann ich Euch ebenso gut über meine Pläne
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