Die Stadt der Heiligen (German Edition)
ihn rasch wieder los. Sie schüttelte ihren Rock aus, an dessen Saum etwas Bräunliches klebte. Dann blickte sie Christophorus verärgert an. «Mein Gemahl wünscht nicht, dass ich mich in seine Angelegenheiten einmische.» Sie blickte sich um. «Lasst uns die Straßenseite wechseln.»
Bis sie den Parvisch erreicht hatten, schwiegen sie einander an. Erst als sie den großen Platz halb überquert hatten, ergriff Christophorus erneut das Wort. «Ihr kennt Euch also mit Reliquien aus. Könnt Ihr auch eine gefälschte Reliquie von einer echten unterscheiden?»
Marysa hob die Schultern. «Das kommt auf die Qualität der Fälschung an. Wenn es sich, wie der Domherr Johann Scheiffart behauptet hat, um ein Schweineknöchelchen handelt, muss es eine sehr schlechte Fälschung sein.»
Um Christophorus’ Mundwinkel zuckte es. Offenbar verbarg sich hinter der Fassade der stillen Schreinergemahlin doch mehr, als er gedacht hatte. Er griff in den Ärmel seiner Kutte und zog seine Geldkatze hervor. Ihr entnahm er eine winzige, verziere Holzschachtel, die er aufklappte und Marysa unter die Nase hielt. «Etwa so schlecht wie diese hier?»
Marysa starrte verblüfft auf die Schachtel, dann nahm sie sie zögernd zwischen die Finger und beäugte den Inhalt. Vorsichtig ließ sie das Knöchelchen auf ihren Handteller fallen. «Woher habt Ihr das?»
Christophorus schien aufmerksam den Himmel zu betrachten. «Ein Pilger gab es mir heute Morgen im Tausch gegen einen Ablassbrief, der seinen verstorbenen Vater für genau dreihundertfünfundsechzig Tage vor dem Fegefeuer bewahrt.»
«Wie bitte?»
«Das ist natürlich nur eine milde Erleichterung seiner Sündenstrafen, aber für mehr reichte des armen Mannes Geld nicht.»
Marysa schüttelte unwillig den Kopf. «Warum hat er Euch diese Reliquie gegeben? Und woher wusstet Ihr überhaupt, dass er sie besitzt?»
«Das wusste ich nicht.» Christophorus lächelte, diesmal wieder auf diese besondere, einnehmende Art, die Marysa nun schon zum zweiten Male verwirrte. «Er bedrängte mich um einen Ablassbrief, da er sicher war, während der Heiltumsweisung nicht alle gebotenen Bedingungen erfüllen zu können. Leider hatte er, wie gesagt, nicht genug Geld, und diese Reliquie, so behauptete er, habe er vor ein paar Tagen neben einem Brunnen hinter dem Dom gefunden. Er glaubte, es sei ein Wink des Herrn, als er mich traf, weil er ja nun das Kleinod gegen den Ablassbrief eintauschen konnte. Zufall also, wie Ihr seht, jedoch ein interessanter. Was haltet Ihr von dem Knöchelchen?»
Marysa betrachtete die Reliquie eingehend. «Zu welchem Heiligen soll es gehören?»
Christophorus zuckte mit den Schultern. «Leider lag kein Gebetszettel oder Ähnliches dabei. Germanus vielleicht, wie das, welches man bei Eurem Gesellen gefunden hat?»
Vorsichtig kratzte Marysa mit dem Daumennagel an dem Knöchelchen herum, dann roch sie daran und legte es schließlich wieder in die Schachtel zurück. «Ob es ein Schweineknöchelchen ist, kann ich nicht genau sagen, aber es ist zumindest keine echte Reliquie.» Sie hatte ihre Stimme gesenkt, damit die vielen Menschen, die sich auf dem Parvisch tummelten, nichts mitbekamen. «Es ist viel zu weich, höchstens ein paar Wochen alt. Und es riecht nach dem Feuer, über dem es vermutlich geräuchert wurde, damit es älter aussieht.» Sie gab ihm das Kästchen zurück, welches er wieder in seinem Ärmel verschwinden ließ.
«Dies wolltet Ihr mir also zeigen? Warum hier?»
«Weil Ihr noch etwas anderes sehen sollt.» Christophorus führte sie zu einem kleinen Gebäude neben dem Dom und klopfte an die Tür. Ein untersetzter älterer Geistlicher, dessen Kopf direkt auf seinen Schultern zu ruhen schien, öffnete und lächelte erfreut, als er den Dominikaner sah.
«Bruder Christophorus, nicht wahr? Seid mir gegrüßt. Ich habe schon auf Euch gewartet. Herr Scheiffart berichtete mir, dass Ihr die Stätte des Unglücks ansehen wollt.» Der Geistliche blickte neugierig auf Marysa. «Ihr habt jemanden mitgebracht?»
«Frau Marysa Markwardt, die Gemahlin des inhaftierten Schreinbauers», stellte Christophorus sie vor. «Sie hat sich bereit erklärt, den Ort der Tat mit mir gemeinsam aufzusuchen und zu warten, bis ich meine Untersuchung abgeschlossen habe, denn als Freund der Familie begleite ich sie später noch zur Anhörung bei den Schöffen.»
Marysa sog vor Verblüffung hörbar die Luft ein, doch Christophorus wandte sich nur kurz um und tätschelte beruhigend ihren Arm. Dabei
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