Die Stadt der schwarzen Schwestern
Beginenhauses lag. Einige Frauen hatten unter einem hölzernen Vordach große Laken ausgebreitet, die sie nun mit Hilfe des Schnees sauberbürsteten. Pamela starrte einige Augenblicke lang schweigend auf das Treiben der Beginen, dann drehte sie sich um.
«Seine Hände waren verbrannt», sagte sie.
Griet merkte irritiert auf. Verbrannte Hände? Was sollte das nun wieder bedeuten? Ihr war noch nie jemand in der Stadt über den Weg gelaufen, dessen Hände von Brandwunden entstellt gewesen waren. Auch Uta machte ein ratloses Gesicht.
«Wir können doch nicht durch ganz Oudenaarde laufen und die Hände sämtlicher Männer nach Brandnarben absuchen», rief Cäcilia. Sie hielt Pamelas Beobachtung für lächerlich. Die Zeit lief ihnen davon. Wo auch immer der Pilger das Kind und die beiden anderen hingeschleppt hatte, keiner der Anwesenden zweifelte daran, dass es ein fürchterlicher Ort sein musste. Ein Ort, der so abgeschieden war, dass niemand ihre Schreie hörte. Cäcilia blickte Griet an, der das Entsetzen deutlich ins Gesicht geschrieben stand.
«Ich habe nichts von Brandnarben gesagt», erhob Pamela erschöpft Einspruch. Sie sank auf das einfache Kastenbett, das zusätzlich noch mit warmen Lammfellen bedeckt worden war. «Seine Hände waren einfach verbrannt … schwarz wie Kohle. An mehr erinnere ich mich nicht. Es ging doch alles so schnell. Ich musste um mein Leben laufen.» Sie begann zu schluchzen. Mit bebenden Schultern vergrub sie ihr Gesicht in den Händen. «Und als ich mich in Sicherheit glaubte, kamen die Männer des Statthalters und …»
«Genug jetzt!» Die Entscheidung der Begine war unumstößlich. Für sie gehörte Pamela nun zum Hof, und sie würde nicht zulassen, dass ihrer Schutzbefohlenen zugesetzt wurde. Da halfen kein Bitten und Flehen.
Vor dem Tor warteten Dotteres und ihre Kinder. «Na endlich», rief die junge Frau, als sie Griet und Cäcilia kommen sah. «Ich habe schon zweimal ans Tor geklopft, aber diese Weiber sind ja schlimmer als Nonnen. Nicht einmal angeschaut haben sie mich, bevor sie mich als Hure beschimpft und fortgejagt haben!» Sie trat mit ihrem Holzschuh gegen das Holz der Pforte, dass es hallte. «Doch zuvor hat mir ein Bursche einen Fetzen Sackleinen zugesteckt. Nicht für mich.» Sie deutete auf Griet, der sie nach wie vor mit Argwohn begegnete. «Für die da, hat er gesagt. Mir wäre es tausendmal lieber gewesen, er hätte mir einen Zipfel Wurst unter den Rock geschoben.»
«Aber Mutter», protestierte der kleine König. Seine leicht abstehenden Ohren waren nicht nur wegen der Kälte gerötet.
«Klappe, Kleiner», fauchte Dotteres. Sie war nicht gerne nach Oudenaarde mitgekommen, hätte Cäcilia aber auch niemals allein mit Griet durch die Ardennen ziehen lassen. Cäcilia wiederum hing inzwischen mit liebevoller Zuneigung an der kleinen Familie.
Griet streckte voller Ungeduld die Hand aus. «Wärst du bitte so gut …»
«Was?»
«Das Stück Sackleinen, von dem du eben sprachst. Du meinst doch einen Brief? Vielleicht eine Botschaft des Statthalters oder Neuigkeiten von Pater Jakobus.»
Dotteres verzog beleidigt das Gesicht und beklagte sich bei Cäcilia über hochnäsige Stadtweiber, die annahmen, sie habe in ihrem Leben noch keinen Brief in Händen gehalten. Was sie aus ihrem Rockbund zog, war am Ende aber doch nicht mehr als ein aus einem alten Sack getrennter schmutziger Fetzen, auf den jemand in Hast etwas gekritzelt hatte.
Griet entzifferte die wenigen Zeilen, wobei ihr Gesicht weiß wie Schnee wurde. «Wer hat dir das gegeben?», krächzte sie mit schwacher Stimme.
«Hab ich doch gesagt. So ein Kerl, der hier vorbeilief. Wollte vermutlich runter zum Ufer der Schelde.»
«Hatte er schwarze, verbrannte Hände?»
«Was?» Dotteres riss die Augen auf und starrte Griet an, als habe diese sich nach einem feuerspeienden Drachen erkundigt. Noch ehe sie auf Griets Frage eine Antwort fand, nahm Cäcilia das Stückchen Stoff an sich und las, was daraufstand.
«Es ist von ihm», flüsterte Griet. Sie lehnte sich Halt suchend gegen die Mauer des Beginenhofs. «Von dem Pilger. Er weiß, dass ich wieder hier bin. Und er weiß auch von Euch, Cäcilia.» Langsam wandte sie sich der schwarzen Schwester zu, die den Kopf hob. «Er verlangt das Buch für das Leben meines Kindes. Aber ich habe nichts, was ich ihm geben kann!»
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Kapitel 32
Die Beginen boten Griet und Cäcilia an, bei ihnen auf dem Hof zu bleiben, Griet lehnte jedoch ab. Sie
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