Die Stadt der schwarzen Schwestern
streifte. «Wenngleich ich annehmen darf, dass die vergangenen Wochen ihn ein wenig gezähmt haben. Macht Euch keine Sorgen um ihn. Er ist unterwegs in die Kurpfalz, um das Buch des Aufrechten an einen sicheren Ort zu bringen.»
«Wo sind mein Vater und Basse?», platzte Griet heraus. «Sie sind nicht im Pförtnerhaus der schwarzen Schwestern. Der Junge hat sich dort für mich umgesehen, weil ich …» Sie sprach nicht weiter, aber der Pater war ein kluger Mann. Er verstand, dass Griet zunächst unerkannt in die Stadt zurückgekehrt war, anstatt gleich den Statthalter aufzusuchen. Besonders in diesem Moment konnte er ihr das nicht verdenken. Seine Drohungen hinsichtlich einer weiteren Strafaktion gegen die Bürger Oudenaardes, falls Griet ihm und König Philipp die schwarzen Schwestern nicht zurückbrachte, hatte der Fürst weder vergessen noch zurückgenommen. Zu seinem Bedauern konnte der Pater Griet jedoch nichts über den Verbleib ihres Kindes und Vaters sagen. In der Stadt erzählte man sich, sie seien geflohen, um nicht von Farnese als Geiseln gefangengesetzt zu werden, doch die Äußerungen der jungen Pamela Osterlamm hörten sich anders an.
Griet erschrak, als der Priester ihr von der Ermordung der Bürgermeistersöhne erzählte. Noch mehr beunruhigte sie aber, dass man ausgerechnet die tugendhafte Pamela dieser Tat beschuldigte. Das kam ihr völlig abwegig vor.
«Ich muss mit Pamela sprechen», beschloss sie kurzerhand. «Auf der Stelle!»
Cäcilia berührte fürsorglich ihren Arm, aber ihr Lächeln kam Griet wie Hohn vor. Sie war auch nach all den Tagen und Nächten, die sie während ihrer Reise durch die Ardennen gemeinsam verbracht hatten, immer noch wütend auf die Frau. Ihrer Meinung nach hatte Cäcilia aus purer Selbstsucht dafür gesorgt, dass Don Luis und Griet sich hatten trennen müssen. Das Buch darf nicht in die falschen Hände geraten, das war alles, was die letzte schwarze Schwester auf ihre Vorwürfe erwidert hatte. Darauf beharrte sie. Dass ihr Begleiter Tobias, der sich offensichtlich in Cäcilia verguckt hatte, sich nach kurzem Zögern erboten hatte, Don Luis an den Rhein zu begleiten, tröstete Griet keineswegs. Insgeheim war sie froh darüber, dass Don Luis nicht allein unterwegs war. Bei dem Gedanken daran, wie innig er sie bei ihrem Abschied geküsst hatte, wurde ihr schwer ums Herz.
Cäcilia blieb ihr jedoch ein Rätsel. Aber im Augenblick gab es wesentlich Wichtigeres, um das sie sich kümmern musste.
Pater Jakobus entging die Spannung zwischen den beiden Frauen nicht. Unruhig blickte er von Griet zu Cäcilia, danach musterte er deren Begleiterin, eine schäbig gekleidete Frau, die mit ihren Kindern ein wenig verloren neben der engen Pforte zum Kirchplatz stand.
«Pamela aufzusuchen, halte ich für reine Zeitverschwendung», sagte er schließlich. «Alles, was sie weiß, hat sie mir bereits anvertraut.» Er dachte kurz nach, bevor er hinzufügte: «Und Uta, der Vorsteherin des Beginenhofes. Wie Ihr vielleicht wisst, war es Pamelas Herzenswunsch, von den Beginen aufgenommen zu werden.»
Griet nickte. Sie selbst hatte ja den kostbaren Ring des Mädchens mit einem ihrer Briefe versichert und ihr bestätigt, dass sein Wert ausreichen würde, um sich auf Utas Hof einzukaufen. Was aus dem Schmuckstück geworden war, wusste sie nicht. Beelken war auch verschwunden. Wenn man Pamelas Geschichte glaubte, teilte sie die Gefangenschaft ihrer Angehörigen. Griet verzog vor Zorn und Verzweiflung das Gesicht. Rückkehr und Aussage der letzten schwarzen Schwester würden möglicherweise den Statthalter davon abhalten, die Bürger wie Rebellen zu behandeln. Doch damit war Basse nicht geholfen. Er und Griets Vater mussten dem Pilger in die Hände gefallen sein. Der Mann wartete ebenso gespannt wie Farnese auf ihre Rückkehr in die Stadt. Anders als dem Statthalter hatte sie dem Pilger aber nichts anzubieten. Für Cäcilia interessierte der sich nicht – was er wollte, war das Buch des Aufrechten , und das befand sich inzwischen schon viele Meilen weit entfernt.
«Ihr müsst den Statthalter aufsuchen!» Pater Jakobus erschien dies als der einzig richtige Weg. «Wenn er Cäcilias Geschichte hört und zudem erfährt, dass sie Don Luis’ Mutter ist, wird er Euch bestimmt helfen, diesen Pilger zu entlarven.»
Griet bezweifelte das. Alessandro Farnese brannte darauf, seinen Feldzug durch die Niederlande im Frühjahr fortzusetzen. Die erzwungene Untätigkeit während des grimmigen Winters machte
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