Die Stadt der schwarzen Schwestern
wollte zurück in ihr altes Pförtnerhäuschen, wo sie ihre Familie zum letzten Mal gesehen hatte. Und sie wollte allein sein. Als sie die schwere Tür aufdrückte und in die Stube trat, rechnete sie mit lähmender Kälte, mit Schnee auf der Schwelle und Eisblumen an den Fensterscheiben. Aber sie wurde überrascht. Im Ofen flackerte ein Feuer, das den ganzen Raum mit angenehmer Wärme erfüllte. Neben der Ofenbank hing ein Weidenkorb an der Wand, bis zum Rand mit gespaltenem Brennholz gefüllt.
Argwöhnisch blickte sich Griet um. Wer mochte für sie eingeheizt und aufgeräumt haben? Utas Beginen gewiss nicht. Auch Pater Jakobus und der Statthalter kamen dafür kaum in Frage. Der Pater war viel zu zerstreut dafür, und Farnese war es egal, ob sie fror oder nicht.
Mit schwerem Herzen schritt Griet die Räume ab. Sie stellte fest, dass nichts gestohlen worden war, alles befand sich an seinem Platz: Kessel und Pfannen, Leinen und Kleider, ja, selbst Griets Aussteuertruhe war während ihrer Abwesenheit nicht geöffnet worden. Griet fand Stiefel ihres Vaters, die er sich kurz vor ihrer Abreise hatte schustern lassen. Sie musste sich zusammennehmen, um nicht laut zu weinen. Wie gern hätte sie dem alten Mann gesagt, dass es ihr nun möglich war, ohne Groll oder Schmerz an Isabelle zu denken, und dass sie ihn trotz all seiner Schwächen und Fehler liebte und achtete. In einer Familie gab es nichts, was nicht verziehen werden konnte.
Sie ließ sich auf den blanken Dielenboden sinken. Aus irgendeinem Grund betrachtete sie sich nicht als Herrin des Hauses, sondern als Eindringling, der kein Recht hatte, in der Stube etwas anzurühren. Auf dem Tisch stand das hübsche Essgeschirr, polierte Zinnbecher und Schüsseln aus blau bemaltem Ton. Vermutlich hatte Beelken gerade gekocht, als sie …
Griet rang nach Luft. Fast wäre ihr lieber gewesen, sie hätte eine dunkle, eiskalte Kammer betreten als diese so falsch wirkende Idylle. Die vertraute Umgebung, das Licht des Mondes, das durch die Fenster Schattenmuster auf den Fußboden warf, und die Geräusche des brennenden Holzes im Ofen spendeten keinen Trost.
Verbrannte Hände, ging es ihr durch den Kopf. Pamela hatte verbrannte Hände gesehen. Aber wieso? Woran erinnerte sie das nur?
Griet saß noch auf dem Boden und grübelte, als de Lijs hereinkam. Pieter Rink war bei ihm. Die Männer hatten in der Schöffenstube von ihrer Rückkehr in die Stadt gehört und sich gleich nach Beendigung ihrer Ratssitzung aufgemacht, um nach ihr zu sehen.
«Ich wurde mit Billigung des Statthalters zum neuen Bürgermeister gewählt», erklärte der Weinhändler, als er bemerkte, wie Griet seine goldene Kette anstarrte. Er reichte ihr die Hand, um ihr vom Fußboden aufzuhelfen. Griet fragte sich, ob er sie immer noch zur Frau haben wollte, nun, da er in Amt und Würden aufgestiegen war. Die goldene Kette um seinen Hals verlieh ihm etwas unnahbar Würdevolles, doch das Glitzern in seinen Augen erinnerte Griet an Augenblicke, die sie lieber vergessen wollte.
«Ich hoffe, es ist Euch recht, dass ich meinen Freund Rink mitgebracht habe?», fragte de Lijs, nachdem Griet nicht so recht wusste, was sie zu den beiden Männern sagen sollte. Es wäre höflich gewesen, dem Bürgermeister und seinem Begleiter einen Platz nahe am Ofen und eine Erfrischung anzubieten, aber Griet war viel zu müde, um daran zu denken. Stattdessen nickte sie dem Drucker flüchtig zu, bevor sie sich bei de Lijs erkundigte, ob er von ihrem Vater und von Basse gehört habe.
De Lijs strich sich mit dem Zeigefinger über seinen buschigen Schnauzbart. «Ihr dürft die Hoffnung nicht aufgeben, liebe Griet. Wenn sie nicht aus Oudenaarde geflohen sind, werden wir sie finden. Die Zeit der Gesetzlosigkeit liegt nun hinter uns. Seien wir froh, dass wir die calvinistischen Eiferer los sind. Sie haben nur Unfrieden über die Stadt gebracht.»
«Ihr scheint Euch rasch mit den neuen Gegebenheiten abzufinden. Und ich war immer der Meinung, die Brüder Osterlamm seien Eure Freunde.»
De Lijs schwieg betroffen, aber Pieter Rink schnaubte empört. Er trat an den Ofen und streifte seine teuren Fäustlinge ab. «Die und Freunde? Macht Ihr Witze? Wenn Ihr nur ahnen würdet, was Adam und Coen ausgeheckt hatten, um Euch zu schaden, würdet Ihr unsere Entrüstung teilen. Sie wollten Euch ruinieren, um Euren Handel mit Sicherheitsbriefen in die Finger zu bekommen. Aber seid versichert, dass ich mir lieber die Hand abgehackt hätte, als für sie zu
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