Die Stadt der schwarzen Schwestern
nicht zuvor alle Knochen breche!»
«Ich glaube nicht, dass Ihr noch einmal mit Eurem Freund Farnese sprechen werdet, mein guter Don Luis», höhnte Rink. «Im Übrigen bin ich Eure Ausflüchte leid. Ich zähle bis drei, und wenn ich dann nicht erfahre, wo mein Buch ist, dann … Eins … zwei …»
«Jetzt reicht es mir mit deinen Drohungen», tobte Don Luis.
«Ich weiß, wo sich das Buch befindet», rief Cäcilia plötzlich dazwischen. Sie warf ihrem Sohn einen Blick zu. «Jedenfalls glaube ich es.»
Rink lachte. «Wirklich? So schnell findet eine schwarze Schwester zum Glauben zurück? Ich bin froh, wenn ich Euch dabei behilflich sein konnte. Redet gefälligst!»
Cäcilia wandte sich an Pater Jakobus, der sie ängstlich anschaute. «Wo wart Ihr, als Tobias Euch ansprach?»
«Ich rechnete nicht damit, zu so später Stunde noch jemanden in der Kirche vorzufinden, und erschrak. Noch dazu war es ein Fremder, der mir nicht sonderlich vertrauenswürdig vorkam. Ich wollte mich gerade zurückziehen, als der Mann mir erklärte, dass er Euch kenne und mit Don Luis in die Stadt gekommen sei. Er sagte, er bräuchte meine Hilfe.» Er schlug die Augen nieder. «Ich stand vor dem Altar des Priesterchors.»
Cäcilia nickte. Sie forderte Rink auf, ihr hinauf in die Kirche zu folgen.
«Ihr habt es gehört!» Rink packte Basse am Kragen und bewegte sich rückwärts auf die Tür zu, die über eine Wendeltreppe hinauf in den Chorraum führte. Griet, Cäcilia und Don Luis blieb nichts übrig, als ihm zu folgen. Keiner wagte einen Angriff, auch an Flucht war nicht zu denken, solange der Mann Basse in seiner Gewalt hatte.
Vor dem Altar blieb Cäcilia stehen. Nun kam es darauf an, dass ihr Gefühl sie nicht trog. Sie atmete tief durch, ehe sie sich über das Messbuch beugte, eine Schrift, deren Einband aus lederbezogenen Holzdeckeln bestand. Es stand schräg auf einem verzierten Buchständer aus purem Gold.
«Hab ich’s mir doch gedacht», murmelte sie. Ihre Züge wurden vor Trauer weich, als sie die Seiten des Buches berührte. «Das ist kein Missale. Messbücher sind viel kostbarer gearbeitet. Bevor Tobias mit dem Pater in die Krypta hinabgestiegen ist, um nachzuschauen, woher die Geräusche kamen, muss er die Bücher vertauscht haben.»
«Zur Seite», befahl Rink. Seine Stimme zitterte. «Das Buch des Aufrechten hat lange auf mich gewartet.»
Cäcilia rührte sich nicht von der Stelle. Sie stand einfach nur da, ihre Hände lagen auf den aufgeschlagenen Seiten, während ihre Lippen lautlos Worte formten, als betete sie. Über ihr Gesicht legte sich dabei ein Glanz, der ihre Züge jung und voller Lebenskraft erscheinen ließ. Griet hielt den Atem an. Etwas Einzigartiges geschah mit der alten Frau am Altar, das sah sie deutlich. Je mehr sie sich in die vor ihr liegende Schrift vertiefte, desto weniger nahm sie die drohenden Befehle Rinks wahr, der nachdrücklich das Buch verlangte. Aus irgendeinem Grund wagte er es aber nicht, Cäcilia zu nahe zu kommen.
Griet spürte, wie ihr ein Schauer über den Rücken lief. Scheu wandte sie sich zu Don Luis und dem Pater um, die beide wie erstarrt neben ihr standen.
Dann hob Cäcilia den Kopf. Noch immer haftete ihren Augen der eigentümliche Schimmer an, der von keiner Kerze herrührte. Cäcilia schaute Rink unverwandt an, beinahe trotzig.
«Ihr wollt doch wissen, was das Buch Euch zu sagen hat? Ich kann es Euch verraten, denn es steht hier geschrieben.» Sie deutete auf eine Seite. «Dem Lästerer, der unschuldiges Blut vergossen hat, wird ein Platz im Reich des Todes zuteil.»
Rink erbleichte. Seine Furcht vor dem Buch war plötzlich greifbar. Im Angesicht des Objekts seiner Begierde schien er befangen zu sein. «Lügnerin, das erfindet Ihr, weil Ihr mir mein Eigentum vorenthalten wollt. Ihr seid wie die anderen schwarzen Schwestern.»
«‹Dem Gottlosen, der das Wort entweiht, um finstere Schatten zu jagen, wird ebendieser Schatten folgen, und er wird sich über ihn legen, wenn er tief hinabsteigt›», zitierte Cäcilia, ohne auf Rinks Einwand einzugehen. «‹Die Toten, die er missachtet, werden ihn erschlagen.›»
«Ihr könnt die Schrift nicht lesen», sagte Rink erbost. «Das ist unmöglich. Niemand außer mir kann das!» Schäumend vor Wut, stieß der Drucker Basse von sich und stürmte dann auf den Altar zu, wo er auf Cäcilia anlegte. Doch bevor er feuern konnte, nahm Cäcilia das Buch des Aufrechten von seinem goldenen Buchständer und hielt es wie ein Schild vor
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