Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)
ihr kleines Baby im Arm hielt. Der Rest des Landes war in Aufruhr, nur hier in New Orleans betrachteten die Leute den Fall als einen von vielen.
Nachdem wir den Truck hergerichtet hatten, fuhr ich zu einem Motel am Airline Highway in Metairie. Motels säumten die Straße, die die Hauptzufahrt in die Stadt gewesen war, bis die Eröffnung des Highway 10 alles ruiniert hatte. Die Motels sahen heruntergekommen und trist aus. Einige waren zu Stundenhotels umfunktioniert worden, während andere auf den Aufschwung warteten, der bestimmt nicht mehr lange auf sich warten ließe.
Die abgesackte Decke blockierte die halbe Lobby, und eine Ecke voller Geröll war mit einem gelben Plastikband mit der Aufschrift »Vorsicht!« abgetrennt.
»Entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten während der Renovierung«, stand auf einem Schild.
Mit einem falschen Ausweis mietete ich unter dem Namen Sylvia Welsch ein Zimmer für mich und meinen Sohn an. Den Schlüssel gab ich Terrell.
Er sah mich misstrauisch an.
»Nimm ihn, bevor ich es mir anders überlege«, sagte ich.
Er lächelte und bedankte sich. Er und Andray gaben einander auf komplizierte Art die Hand und tauschten ein paar Ghettophrasen aus, die ich nicht verstand. Dann gingen wir.
Eine Stunde später ging die Sonne unter. Andray und ich saßen in meinem Truck auf dem verlassenen Parkplatz eines bankrottgegangenen Obstgroßhändlers, direkt hinter den Bahngleisen am Rand des French Quarter. Es war vollkommen still, und die Luft roch nach Benzin. Wir lehnten uns erschöpft zurück. Ich hatte das Radio eingeschaltet, es lief leise WWOZ. Wir teilten uns schweigend eine Literflasche Malt Liquor und einen Blunt. Andray hatte den Fusel beigesteuert und ich das Gras, wobei Andray darauf bestanden hatte, Zigarrenblätter zu benutzen. Dabei ziehen wir älteren weißen Ladys doch eigentlich das gute, alte Zigarettenpapier vor.
»Sie schießen gut«, räumte Andray nach einer Weile widerwillig ein.
»Hab ich dir doch gesagt«, antwortete ich. »Ich bin Detektivin.« Ehrlich gesagt war der Schuss kinderleicht gewesen. Ich hatte Waffen immer schon gemocht und konnte gut damit umgehen, selbst vor meiner Zeit bei Constance. Sie hatte mir jedoch beigebracht, mit geschlossenen Augen zu schießen. Constance hatte mich gelehrt, das Projektil davon zu überzeugen, dass ich auf seiner Seite stand. Constance hatte mir verraten, dass jede Kugel das Ziel treffen will. Man musste sie bloß ermutigen. Manchmal suchten wir uns ein verlassenes Gelände und machten Schießübungen. Niemand störte uns je. Damals, während der ersten Monate mit Constance, hielt ich New Orleans für das Paradies auf Erden.
Andray sah mich an. »Verdammt«, sagte er, »und ich habe Ihnen kein Wort geglaubt.«
»Macht nichts«, sagte ich. »Die meisten Leute lügen.«
Er nickte. »Wie kommt man an so einen Job?«
»Tja«, sagte ich, »man muss zur Schule gehen und fleißig lernen. Man braucht richtig gute Noten, damit man aufs College gehen darf. Um dort die richtigen Leute kennenzulernen und so weiter.«
»Oh«, sagte Andray und lehnte sich zurück.
Ich musste lachen. »Das war nur Spaß«, sagte ich. »Das war absoluter Unsinn. Ich habe nichts davon gemacht.«
Andray lachte verunsichert. »Wirklich?«
»Ja, wirklich«, sagte ich. »Das war alles Blödsinn. Ich weiß auch nicht. Man fängt einfach an.«
Er musterte mich. »Sie waren nicht auf dem College und so?«
»Nein«, sagte ich, »ich bin mit siebzehn von zu Hause ausgezogen. Ich habe nicht einmal einen Highschool-Abschluss. Hast du eine Zigarette für mich?«
Andray holte eine Packung Newford Lights heraus und bot sie mir an.
Ich nahm eine Zigarette, er ebenfalls, und dann gab er mir Feuer, während der Blunt im Schraubdeckel der Fuselflasche vor sich hinqualmte.
»Wo kommen Sie her?«, fragte er, immer noch verunsichert.
»Aus Brooklyn«, sagte ich.
Andray musste lächeln. »Brooklyn«, wiederholte er. »Sie sind aus Brooklyn.«
»Ja.«
»Ist es da wie hier?«
»Hm, nein«, sagte ich, »selbst zu den schlimmsten Zeiten nicht. Aber fast. Du weißt schon. Perspektivlosigkeit, Armut, Mord. Meine Highschool war die erste im ganzen Land, die Metalldetektoren einführte. Und eine eigene Babykrippe. Aber es gab weniger Morde. Weniger Waffen.«
»Brooklyn«, sagte Andray und nickte bewundernd. Die Tatsache schien ihn ein wenig zu beruhigen. »Kein Witz?«
»Na ja, es verkommt zu einem«, sagte ich. »Da wohnen bald nur noch die Reichen.«
»Hier auch,
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