Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Titel: Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gran
Vom Netzwerk:
demnächst«, erwiderte Andray nickend. »Die wollen die Schwarzen von hier vertreiben. Die Weißen wollen alles für sich allein haben.«
    Ich sagte nichts. Ich kannte keine Weißen, die New Orleans ganz für sich haben wollten. Traurigerweise schien niemand die Stadt haben zu wollen.
    »Fahren Sie manchmal hin?«, fragte er. »Nach Hause?«
    »Nach Brooklyn?«, fragte ich. »Selten.«
    »Gefällt es Ihnen nicht mehr?«, fragte Andray.
    »Nein«, sagte ich, »kein bisschen.«
    Wir saßen für eine Weile schweigend da. Ich konnte sehen, dass Andray mich etwas fragen wollte. Ich blieb still sitzen, während er seinen ganzen Mut zusammennahm.
    »Waren Sie da?«, fragte er schließlich und starrte auf die Flasche in seiner Hand. »In New York, als … Sie wissen schon.«
    »Ja«, sagte ich. »Ich war schon nach Kalifornien umgezogen, aber an dem Tag war ich in New York.«
    »Sie waren genau da?«, fragte er.
    »In der Nähe«, antwortete ich. »Ich war in Chinatown. Ich arbeitete an einem Fall.«
    »Ist das in der Nähe?«, fragte er.
    »Ja«, sagte ich. »Und dann bin ich hingelaufen.«
    »Scheiße«, sagte Andray. Wir schwiegen für eine Weile.
    »Waren da viele Leichen?«, fragte er schließlich.
    »Nein«, sagte ich, »bloß Asche. Jede Menge Asche.«
    Wir schwiegen wieder. Dann fragte Andray: »Hatten Sie Angst?«
    Alle fragen das, immer. Ich weiß nicht, warum.
    »Ja«, sagte ich. »Es war beängstigend. Es dauerte lange, bis wir glauben konnten, dass es vorbei war. Es fühlte sich an, als würde es immer weitergehen. Als wäre Krieg. Als würde es in einen Krieg ausarten. Und eine Zeitlang war es unmöglich, die Stadt zu verlassen. Es gab keine Flüge. Ich musste ein Auto mieten, und dann … ach, das ist eine lange Geschichte.«
    »Oh«, sagte er.
    Nach einer weiteren Minute sagte er: »Haben Sie schon mal eine Leiche gesehen?«
    »Ja«, sagte ich, »schon oft.«
    Andray runzelte die Stirn, und die Falten darauf vertieften sich.
    »Auch«, fragte er, »jemanden, den Sie kannten?«
    Ich nickte. Ich glaube, er wollte noch etwas sagen, aber wir wussten beide nicht, was.
    Nach einer Weile sagte er: »Mit Wasser ist es anders. Alle sind, na ja, irgendwie noch da.«
    »Ja«, sagte ich. Ich erinnerte mich an das Mädchen in der Bucht. Sie war auf dem Nachhauseweg ertrunken. Beim Schwimmen. Sie war erfroren. Eine schreckliche Art zu sterben.
    »Du hast Leute gesehen, die du kanntest?«, fragte ich.
    Er nickte.
    »Siehst du sie immer noch?«, fragte ich.
    Er nickte wieder. »Nicht mehr die ganze Zeit. Aber ja, immer noch. Manchmal.«
    »Ja«, sagte ich, »ich kenne das.«
    »Eine, die Sie gesehen haben?«, fragte er.
    »Ja«, sagte ich. »Nein. Ich habe sie nicht gesehen, aber ich sehe sie ständig.«
    Andray nickte, und wieder schwiegen wir. Wir rauchten den Blunt auf.
    Danach zog Andray einen langen, dünnen, in Papier gewickelten Joint aus der Tasche, zündete ihn an und nahm einen tiefen Zug. Es roch merkwürdig, nach Chemie. Lali und der Junge, der in den Baum geschossen hatte, hatten das Gleiche geraucht.
    »Was ist das?«, fragte ich.
    Andray lachte. »Sie kennen das nicht?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Wird Wet genannt. Es ist wie ein Joint – also ein Gemisch aus Tabak und Gras und ein bisschen Angel Dust – den kennen Sie doch?«
    »Ja«, sagte ich.
    Er nickte. »Okay. Also man rollt alles zusammen ein und tunkt es dann in dieses Einbalsamierungszeug, das die Bestatter benutzen.«
    »Einbalsamierungszeug?«, fragte ich ungläubig.
    Andray nickte und lachte. »Ja.« Er nahm noch einen Zug, und seine Augen fingen zu glänzen an. »Das ist echt guter Stoff.« Er bot mir die Zigarette an.
    Ich betrachtete sie. Das Rauchen von Einbalsamierungsflüssigkeit gehörte nicht gerade zu den Dingen, die ich in New Orleans erledigen wollte. Ich war müde und der Tag so gut wie vorbei. Es wäre total vernünftig, ins Hotel zu gehen und sich ins Bett zu legen – total vernünftig, niemand könnte mir daraus einen Strick drehen.
    Es gehörte jedoch nicht zu den Aufgaben einer Detektivin, vernünftig zu sein. Die Aufgabe der Detektivin bestand darin, Spuren zu verfolgen, egal wohin. Und in diesem Moment führten sie mich zu dem seltsamen, brennenden Ding in Andrays Hand.
    Ich zog vorsichtig daran. Aus der Mischung aus Tabak und Hasch schmeckte ich so etwas wie billiges Kokain oder Nagellackentferner heraus. Nichts passierte.
    Im Radio liefen die White Hawks, eine Indianergang, die seit den Siebzigern immer wieder gute

Weitere Kostenlose Bücher