Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)
Dame ansprach. »Die haben nicht auf mich gezielt.«
Ich brachte ihn zu dem Motel am Airline Highway, dann fuhr ich nach Hause. Unterwegs kaufte ich mir ein Poor-Boy-Sandwich. Ich schlief ein, mit dem Poor Boy auf dem Nachttisch, der mich vorwurfsvoll ansah.
19
I n der Nacht träumte ich von Constance. Wir saßen zusammen mit ihrem alten Freund Jack Murray in einem Ruderboot. Sie teilten sich eine Flasche Brandy. Ich glaubte, dass ich mit ihnen im Boot saß, doch sie ignorierten mich, so dass ich nicht ganz sicher sein konnte. Constance trug ihr Lieblingskostüm von Chanel und hatte sich das weiße Haar zu einem Dutt hochfrisiert. Jack trug einen alten Anzug und einen Mantel, kaum mehr als Lumpen. Sie lachten und tuschelten. Ich konnte kein Wort verstehen.
»Hör mal«, sagte Constance plötzlich in scharfem Ton und drehte sich zu mir um. »Jack hat dir etwas Wichtiges mitzuteilen.«
Über unsere Köpfe donnerte eine U-Bahn hinweg. Ich schaute hinauf und erkannte die New Yorker Linie RR. Auf dem Zug war ein Mädchen mit einer Spraydose in der Hand abgebildet, die sich auf dem Waggon verewigte. Detektivin, stand da.
»Du hörst ja gar nicht zu«, sagte Constance. »Er erklärt dir, was du wissen musst.«
Ich sah Jack an. Er hatte den Mund geöffnet, aber statt Worte kamen Vögel heraus, Hunderte: Stare, Purpurgrackeln, Krähen, Tauben.
»Mach die Augen auf, Claire«, sagte Constance streng. »Die Hinweise sind da, aber du hast sie alle übersehen.«
20
A m nächsten Morgen, nach einer Tasse Kaffee, rief ich Mick an. Ich erzählte ihm nichts von meinem kleinen Abenteuer mit seinem Schützling. Vermutlich dachte Mick, Andray wäre in der Kirche oder in irgendeinem Jugendheim in Lakeview.
»Du musst mir einen Gefallen tun«, sagte ich.
»Eine Recherche?«, fragte Mick. »Akten prüfen?«
»Vielleicht«, sagte ich, »später.«
»Soll ich Verdächtige befragen?«, sagte Mick. »Augenzeugen auftreiben?«
»Nein«, sagte ich, »wahrscheinlich nicht. Na ja, doch, irgendwann vielleicht. Aber zuerst musst du Jack Murray ausfindig machen.«
»Oh, Claire«, sagte Mick. Die Enttäuschung raubte ihm fast die Stimme. »Ich habe keine Ahnung, wo er steckt. Ich wüsste nicht, wo ich anfangen sollte.«
»Du hast die besseren Voraussetzungen«, sagte ich. »Ich wohne hier nicht mal.«
»Du liebe Güte«, stöhnte Mick, »wer bin ich eigentlich, dein Laufbursche?«
»Willst du, dass dein kleiner Freund in den Knast wandert?«, fragte ich.
Mick schwieg. Wir wussten beide, die Antwort war nein.
»Folglich bist du mein Laufbursche«, fuhr ich fort. »Und wo du schon dabei bist, kannst du auch gleich Vics Akten bei der Staatsanwaltschaft überprüfen. Gegen wen hat er prozessiert, gegen wen hat er verloren, gegen wen gewonnen? Der ganze Kram. Verstanden?«
»Verstanden«, knurrte Mick. »Du lieber Gott. Muss denn bei dir alles immer so verdammt kompliziert sein?«
»Ja«, sagte ich, »ja, das muss es wohl.«
Ich legte auf.
»Einfachheit«, schrieb Silette, »ist die Zuflucht der Narren.«
Nach dem Frühstück spazierte ich, immer noch leicht verkatert, zu Vics Wohnung. Ich stellte mich vor sein Haus und sah mich um, als fange der Tag gerade an.
In diesem Teil des French Quarter war es geradezu verdächtig ruhig. Die lautesten Geräusche in Vics Straße waren das Hufgeklapper der Pferdekutschen und die Dampforgeln der Schiffe auf dem Fluss. Niemand war in der Nähe. Gegenüber öffnete sich die Tür eines kleinen Häuschens. Heraus kam eine schwarze Katze, die sich auf der Veranda ausstreckte. Die Tür schloss sich wieder.
Ich machte die Augen zu. Ich kannte das Quarter gut genug, um die Straßenkarte vor meinem geistigen Auge zu sehen. Der nächste Lebensmittelladen war LaVanna’s in der Royal Street. Dahin war Vic gelaufen, wenn er Milch oder Klopapier oder Zigaretten benötigte. Ich öffnete die Augen und machte mich auf den Weg. Der Laden war klein und belebt und bis unter die Decke vollgestopft mit Fertiggerichten, Bier und typischen Spezialitäten. In der Fleischtheke lag Blutwurst, im Snackregal stapelten sich Hubig’s Pies. Hinter der Theke stand eine ältere, weiße Frau in einem blauen Hauskleid, mit dicker Brille und einem schweren Holzkreuz um den Hals. Ich zeigte ihr das Bild von Vic und fragte sie, ob sie den Mann kenne.
»Vic?«, sagte sie. Sie sprach Yat, einen vom Aussterben bedrohten Akzent, der außer in New Orleans auch in Brooklyn und Boston vorkam. Früher war er in der Stadt weit
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