Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)
damit, von ihr gemocht zu werden. Ich erlaubte mir nicht, darauf zu hoffen. Ich rief sie an, so wie Sean es mir aufgetragen hatte. Sie wählte Uhrzeit und Treffpunkt, ein kleines, düsteres Restaurant in Little Tokyo.
»Woran werde ich Sie erkennen?«, fragte ich.
»Ich werde Sie erkennen«, antwortete sie.
Ich hielt sie für verrückt. Die erste von vielen Eigenschaften, die ich an ihr mochte.
Seit meinem Abschied von Brooklyn hatte ich Stück für Stück das ganze Land bereist. Ein Jahr in Chicago. Sechs Monate in Miami. Zwei Jahre Portland. Ich zog von einem Ort zum anderen und lebte von leicht verdientem oder, falls es nicht leicht zu verdienen war, anderweitig erworbenem Geld. Ich löste den einen oder anderen Fall, bot Detektiven, die allein nicht weiterkamen, meine Hilfe an und hielt mich darüber hinaus zurück. Ich hatte mir einen Ruf als gute, aber wenig umgängliche Detektivin erarbeitet. Ich war launisch. Ich war ungeduldig.
Ich hatte auf vier Menschen geschossen und zwei getötet, keinen davon aus Notwehr.
Ich saß in dem Restaurant in Little Tokyo und las Bhukerjees Giftige und heilkundlich wertvolle Orchideen Südamerikas. Ein kleineres Projekt, an dem ich für Sean arbeitete. Er schrieb damals an der endgültigen Weltenzyklopädie giftiger Pflanzen; soweit ich wusste, saß er auch heute noch daran.
Constance kam herein und setzte sich an meinen Tisch, fast ohne die Umgebung eines Blickes zu würdigen. Ja, sie hatte mich erkannt.
»Bhukerjee«, sagte sie mit einem Blick auf mein Buch. »Nicht schlecht.«
»Wen lesen Sie?«, fragte ich.
»Wenn es um Orchideen geht«, fragte sie, »oder um Gift?«
»Beides«, sagte ich.
Sie überlegte kurz. »Ivan Vesulka«, sagte sie dann. »Er hält sich nicht mit Kleinigkeiten auf, aber was die Theorie betrifft, halte ich ihn für unschlagbar.«
Ich griff in meine Handtasche und zog meine zerfledderte Ausgabe von Vesulkas Die Giftorchideen Sibiriens: Eine visionäre Deutung heraus.
Wir lächelten einander an. Ich hatte den Job.
Ich versuchte nie, sie zu beeindrucken. Das hätte nicht funktioniert. Ich erledigte meine Arbeit und hielt den Mund, beobachtete sie verstohlen, wann immer ich Gelegenheit dazu hatte, und bewunderte ihre Pelze und ihre eleganten, mehrfarbigen Pumps, ihre Chanel-Kostüme, die große Tasche, den weißen Dutt am Hinterkopf, die Edelsteine an ihren Fingern und an ihrem Hals.
In den ersten Tagen erledigte ich einfachere Aufgaben für sie. Bring dieses Buch zum Tibet Center, hol Abendessen vom Koreaner, geh zum Kräutermann und frage nach neuen Teesorten, suche eine Spiritistenkirche in Los Angeles auf und zünde eine Kerze für Black Hawk an. Ich bemühte mich, alles zu ihrer Zufriedenheit zu erledigen, nicht zu vorlaut zu sein und keinen Unfug zu machen. Nach ein paar Wochen gab sie mir anspruchsvollere Aufgaben: Lies dieses Buch über Iridologie und schreibe eine Zusammenfassung, befrag jene Person zur Geschichte des Pokerchips.
Nach vier Wochen durfte ich dabeisitzen, als sie Vishnu Desai interviewte, den Mörder (von dem wir damals noch nicht wussten, dass er einer war). Constance stellte ihm über hundert Fragen in einem Zimmer zwei Stockwerke unter ihren Privaträumen im Chateau Marmont, das sie angemietet hatte, um Zeugen und Tatverdächtige zu befragen.
Desai wankte keinen Millimeter. Er war gut. Am Ende wandte sie sich an mich.
»Möchten Sie noch etwas fragen, Claire?«
Ich verstand, dass sie mir eine Chance geben wollte. Sie hatte die allerwichtigste Frage ausgelassen. Auf keinen Fall konnte das ein Zufall sein; ihr Verstand war so scharf wie eine Rasierklinge.
»Mr. Desai«, begann ich sanft, »Sie sagen, Ihre Frau Sarafina sei um elf Uhr aus dem Haus gegangen, um bei HappyBurger am Ende der Straße etwas zu essen.«
»Ja«, antwortete der erschöpfte Vishnu höflich, »sie hatte Hunger. Wir hatten nichts mehr im Haus. HappyBurger ist das einzige Restaurant in der Umgebung; sie wollte hin, um einen Happen zu essen, und dann …«
Seine Stimme wurde brüchig, und er brachte die Worte nicht heraus.
»Mr. Desai«, sagte ich, »Sarafina war Sikh, richtig? Sie war eine Anhängerin des Yogi Bhajan, richtig?«
Mr. Desai nickte verwirrt.
»Yogi-Bhajan-Anhänger ernähren sich vegan«, fuhr ich fort. »Sie essen keine tierischen Produkte. Warum sollte Sarafina zu HappyBurger gehen?«
Mr. Desai öffnete den Mund, aber nichts kam heraus. Seine braune Haut verfärbte sich rot.
»Sogar die Pommes frites bei
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