Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Titel: Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gran
Vom Netzwerk:
zu sein, aber noch habe ich es nicht ganz geschafft. Ich vertraue darauf, dass ein verstärkter Drogenkonsum sich positiv auswirkt. Angeblich sterben die Gehirnzellen dabei ab.«
    Mick schüttelte betrübt den Kopf. »Drogen sind das Letzte, das du brauchst.«
    »Okay«, sagte ich, »was ist es?«
    »Also«, sagte Mick, »am schlimmsten finde ich deinen Sarkasmus. Es ist so, als wolltest du mir den Mund …«
    »Nein, ich meinte, was hast du rausgefunden?« Jetzt war es an mir, verärgert zu sein.
    »Oh«, sagte Mick. »Jack Murray. Er lebt.« Mick zog einen Zettel aus der Hosentasche und gab ihn mir. »Seine letzte offizielle Adresse.«
    »Hübsch«, sagte ich, »wie hast du das angestellt?« Ehrlich gesagt hatte ich nicht wirklich mit Resultaten gerechnet. Wie ich aus eigener Erfahrung wusste, konnten Depressionen einen Menschen intellektuell bremsen.
    »Ich habe Verbindungen«, sagte er achselzuckend, musste aber beinahe lächeln. Irgendwo in ihm steckte immer noch ein guter Detektiv.
    Dem Restaurant gegenüber, auf der anderen Straßenseite, standen drei rundliche, mit Shorts bekleidete Touristen in der grauen Kälte, die dicken, weißen Schenkel von Gänsehaut überzogen, und fotografierten ein mit Farbe besprühtes Haus. Ich erkannte das vertraute X mit den kryptischen Zahlen und Buchstaben. Darunter stand in neonorangefarbenen Leuchtbuchstaben:
    BEWOHNTES HAUS!! FINGER WEG VON DER KATZE!! WIR SCHIESSEN!! KATZENFREUNDE, VERPISST EUCH!! KATZENSCHÜTZER WEG!! HAUT AB, KATZENFREUNDE!!

24
    C onstance und Silette schrieben sich auch nach der Trennung, und während seiner letzten USA-Reise verbrachten Silette, seine Frau Marie und seine Tochter Belle drei Tage bei Constance in New Orleans. Ich besitze ein Foto, das die vier unter einem Baum im Audubon Park zeigt. Kaum zu glauben, dass es 1973 aufgenommen wurde. Constance sah aus wie aus den fünfziger Jahren, Silettes Stehkragen und Krawatte hätten ins Jahr 1912 gepasst, und Marie trug Pucci und Betsy Johnson und hielt die sich windende Belle auf dem Arm. Sie standen unter einer riesigen Eiche. Der Baum war fotogen und in gewisser Hinsicht berühmt; zwei seiner riesigen Äste berührten den Boden, von wo aus sie wieder gen Himmel ragten, und die merkwürdige Gesellschaft hatte sich vor einem jener Äste versammelt.
    Sechs Wochen später war Belle verschwunden.
    In meinem Zimmer in Kalifornien hing das Foto neben einem anderen aus dem Jahr 1985: Ich, Kelly und Tracy stehen in Manhattan vor einer mit Graffiti beschmierten Bar an der Ecke von First Street und First Avenue. Wir halten unsere Handgelenke in die Höhe, um die neuen Tätowierungen vorzuzeigen: Die Initialen der jeweils anderen. Vergrößert man das Foto, kann man die Graffiti und Poster im Hintergrund entziffern. AIDS IST VÖLKERMORD, steht da , IM LABOR GEZÜCHTET, UM SCHWARZE ZU TÖTEN. Gott hat Adam und Eva erschaffen, nicht Adam und Peter. Keine Yuppiescheiße in der Lower East Side. ACT UP. SmithSane. Whiteboy. Missing Foundation. 1933. Die Party ist vorbei.
    Zwei Jahre später war Tracy verschwunden.

    »Was füllt die Lücke, die eine vermisste Person hinterlässt?«, schrieb Silette. »Wer wird ihre Luft atmen, essen, was sie gegessen hätte, heiraten, wen sie geheiratet hätte? Wer wird den Beruf ergreifen, der dieser Person vorbestimmt war? Wer wird auf ihrem Platz sitzen im Footballstadion, im Hörsaal, im alten Lehnsessel im Wohnzimmer? Wer wird ihre Bücher lesen, ihre Kleidung tragen, ihre Filme sehen? Und vor allem, wer wird sich um die Geheimnisse kümmern, die die ihren gewesen wären, und sie bewahren, bis die vermisste Person zurückkehrt?«

25
    A ls ich abends in meinem Hotelzimmer war, probierte ich die Telefonnummern von Lawrence aus, die Shaniqua mir gegeben hatte. Von dem Jungen, der von seinen verdorbenen Freunden korrumpiert und von Vic aus den Fängen der Justiz gerettet wurde.
    Die erste Nummer gehörte zu einem Fast-Food-Restaurant. Die drei Handynummern existierten nicht mehr. Bei einer der Festnetznummern ließ ich es klingeln und klingeln und klingeln, ohne dass jemand sich meldete, nicht einmal ein Anrufbeantworter.

    Ich versuchte es noch einmal mit I Ging. Hexagramm zweiundsechzig: Furchtsamer Reis.
Hexagramm zweiundsechzig: Furchtsamer Reis. Der verbrannte Reis fürchtet sich vor der Frau, die ihn kocht. Der vertrocknete Reis fürchtet sich vor dem Bauern, der ihn anbaut. Der gelungene Reis nährt. Der gelungene Reis erfreut. Verdorbener Reis verbittert den König.

Weitere Kostenlose Bücher