Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)
mich zu den Zulus gebracht. Er sagte, alle Leute tragen eine Maske, was soll’s also? Wie dem auch sei, die Zulus sind die Besten. John hat mir geholfen, Kontakte zu den Mardi-Gras-Vereinen zu knüpfen. Im Grunde hat er mich gerettet.«
»Gerettet?«, fragte ich.
Leon runzelte die Stirn. »Na ja, nicht gerettet. Ist ja nicht so, dass er mich gerettet hätte. Aber ich war … ich weiß auch nicht. Ich hatte keinen Halt. Ich hatte nichts aus meinem Leben gemacht, ich trank zu viel und war dabei zu ertrinken, falls Sie wissen, was ich meine. Ich kam nicht von der Stelle und war am Ertrinken.«
»Das verstehe ich«, sagte ich.
»Und als ich dann zu den Zulus kam, war es wie …« Leon runzelte die Stirn und senkte den Blick. »John hat mich gesehen und durchschaut. Verstehen Sie? Kennen Sie dieses Gefühl, wenn man von einem anderen gesehen wird? Zum ersten Mal?«
»Ja«, sagte ich, »das Gefühl kenne ich gut.«
Leon schaute zu Boden, und den Rest des Weges nach Uptown legten wir schweigend zurück.
27
J ack Murrays letzte bekannte Adresse war eine Pension in der Jackson Avenue, ganz in der Nähe der St. Charles Avenue. Die Pension war in einem ehemaligen Herrenhaus untergebracht. Die Veranda fehlte, die steinernen Pfeiler ragten nutzlos in die Höhe. Einige schöne Details waren noch erhalten: eine geschnitzte Tür, das charakteristische Südstaaten-Blau an dem morschen Verandadach. An der Ecke lungerten einige Schlägertypen herum, die sich abmühten, mordsgefährlich auszusehen. Der graue Himmel hing tief. Sie glotzten uns misstrauisch an, als wir aus dem Wagen stiegen. Ich lächelte hinüber.
»Hallo!«, rief ich und winkte.
Sie ignorierten mich.
Wir stiegen die provisorische Holztreppe zur Haustür hinauf. Ich stemmte mich gegen das schwere, original erhaltene Ding. Es gab nach.
Leon zögerte. Ich zog die Augenbrauen hoch. Er runzelte die Stirn. Ich schüttelte den Kopf. Schließlich nickte er und folgte mir hinein. Menschen wie Leon musste man hin und wieder nötigen, wollte man etwas erreichen.
Im Haus derselbe, traurige Verfall. Ich entdeckte Überreste von Schönheit wie bei einer alternden Frau, die sich von ihrer Schokoladenseite zeigt. Ich war in einem solchen Haus aufgewachsen, in einer Villa in einer Wohngegend, in der seit hundert Jahren niemand mehr gelebt hatte, der so war wie meine Eltern: reich und faul. Unter der abgekratzten Wandfarbe im Flur kam der Putz zum Vorschein. Der uralte, verstaubte Kronleuchter über der Treppe hing bedenklich schief. Der marmorne Kamin im muffigen Salon nebenan kündete von nobler Herkunft, von einem vorübergehenden Tief, von einem Missverständnis am Bankschalter, das sich jeden Moment aufklären ließe. Ich kannte die Geschichte auswendig, die alte Litanei aus Ausreden und Entschuldigungen. Man war reich geboren, konnte es aber aus irgendeinem Grund nicht bleiben; man war arm und doch nicht arm genug, um etwas dagegen zu tun.
Auf der Treppe, unter dem schwingenden Kronleuchter, erschien die Geschäftsführerin. Zu meiner Überraschung handelte es sich um eine Dame mittleren Alters, barfuß und mit langen, weißen Haaren, die Jeans und ein T-Shirt trug. »Mein Süßer!«, rief sie, als sie Leon entdeckte.
»Marsha«, sagte Leon. Sie umarmten einander.
Das war perfekt.
»Ich bin ja so froh, dich zu sehen!«, rief die Frau. »Ich habe oft an dich gedacht.«
»Ich auch«, sagte Leon. »Ich habe gehört, wie es dir geht, von …«
»Ich auch«, sagte Marsha. »Trotzdem schön, dich zu sehen. Wie ist es dir ergangen?«
»So lala«, antwortete Leon. »Und dir?«
»So lala«, sagte Marsha. Sie lächelten einander traurig an.
»Hallo«, sagte ich.
»Oh«, rief Leon, »das ist Claire. Ich weiß nicht, ob du von der Sache mit meinem Onkel gehört hast?«
»Dein Onkel?«, fragte Marsha. Leon erzählte ihr, was passiert war und warum wir gekommen waren.
»Ah«, sagte Marsha. »Na, dann kommt um Gottes willen herein. Trinkt einen Tee mit mir.«
Wir saßen im Salon auf Plastikstühlen und tranken grünen Tee. Ich erklärte Marsha, was wir wollten.
»Tut mir leid, dass Sie den ganzen Weg hergekommen sind«, sagte sie. »Das hätte ich Ihnen auch am Telefon erzählen können. Jack Murray wohnt hier nicht mehr. Nach dem Sturm hat er wieder mit dem Trinken angefangen, wissen Sie, und da … Es lag nicht daran, dass er mit der Miete im Rückstand gewesen wäre. Auch wenn er es war. Nein, viele meiner Jungs hier sind auf Entzug, und das konnte ich einfach
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