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Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Titel: Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gran
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nicht riskieren, bei Gott. So was kann einen Dominoeffekt haben.« Sie lachte und kippte die Hände, um fallende Dominosteine anzudeuten. »Ich wollte ihn bitten auszuziehen, aber das war gar nicht nötig. Er ist einfach auf und davon, und das war’s. Einer meiner Jungs hat mir erzählt, er würde jetzt auf dem Congo Square schlafen, was hoffentlich nicht stimmt. Aber gehört habe ich das.«
    »Hat er irgendwas dagelassen?«, fragte ich.
    »Ja«, sagte sie misstrauisch, »woher wissen Sie das?«
    »Die meisten Leute lassen etwas da«, sagte ich. »Darf ich es mal sehen?«
    Marsha warf Leon einen Blick zu. Er zuckte die Achseln.
    »Es war nicht viel«, sagte sie zögernd. »Aber es war alles, was er besaß.«
    »Er hat es zurückgelassen«, sagte ich, »und nicht abgeholt. Im juristischen Sinne handelt es sich um Abfall.«
    »Kann sein«, sagte sie. Die Vorstellung schien sie traurig zu machen. »Kommen Sie.«
    Leon und ich folgten Marsha zu einer Abstellkammer unter der Haupttreppe. Sie war vollgestopft mit unterschiedlich großen, schlampig übereinandergestapelten Kisten. Marsha mühte sich ab, eine Kiste aus der Mitte des Stapels zu ziehen. Leon und ich eilten zu Hilfe. Aus irgendeinem Grund endete das Ganze damit, dass die beiden plauderten und ich die Kisten allein herunterhievte und wieder aufstapelte.
    »Ich weiß nicht, wozu ich das alles aufbewahre«, seufzte Marsha. »Das Zeug ist teilweise über zwanzig Jahre alt. Aber weißt du, es fühlt sich ja sonst niemand zuständig.«
    Während die beiden plauderten und ich mich abrackerte, kam einer der Mieter vorbei. Ein Kreole, der früher einmal wohl ganz passabel ausgesehen hatte, der früher einmal glücklich, gesund und stark gewesen war. Jetzt war er nichts mehr davon, nur alt.
    Er schlug die Augen nieder und wollte etwas sagen.
    »Ist schon okay«, sagte Marsha. »Nächste Woche.«
    Er nickte. Er sah aus, als würde er gleich zu weinen anfangen.
    »Danke«, sagte er.
    Marsha nickte lächelnd, so als sei es nicht der Rede wert. Der Mann machte kehrt und ging.
    »Hast du mit Mark Dylan gesprochen?«, fragte Marsha. »Ich habe nichts von ihm gehört.«
    »O ja«, sagte Leon. »Er ist in Dallas. Es geht ihm gut. Aber er hat schlimmes Heimweh.«
    Beide lachten. »Und Jesse?«, fragte Leon.
    »Die habe ich lange nicht gesehen«, antwortete Marsha. »Sie hat mir geschrieben. Eine Rundmail. Ich glaube, sie ist in New York. Ihre Kinder leben da und ihre Enkel.«
    »Warum auch nicht«, sagte Leon, »hier ist ihr nichts geblieben.«
    »Nein«, sagte Marsha, »weniger als nichts. Wusstest du, dass sie sich ihr Haus nicht einmal mehr angesehen hat? Ich meine, die Stelle, wo das Haus stand. Sie hat gesagt, sie möchte es lieber so in Erinnerung behalten, wie es war.«
    »Wer könnte es ihr verübeln?«, sagte Leon. Sie schwiegen eine Weile. Dann sagte Leon: »Ich habe das von Brad gehört.«
    Marsha sagte nichts.
    »Es tut mir so leid«, sagte Leon.
    »Er fehlt mir jeden Tag«, sagte Marsha. »Ich muss ständig an ihn denken. Immerzu. Jeden Tag.«
    Alle schwiegen.
    Zum ersten Mal, seit ich hergekommen war, hörte ich Menschen über den Sturm sprechen. Die Leute redeten viel über die Reaktionen auf den Sturm, über die Folgen und die Auswirkungen auf die Zukunft. Aber über die Katastrophe an sich redeten sie kaum.
    Endlich hatte ich Jack Murrays Kiste freigelegt. Sie war fast leer. Ein paar verdreckte Kleidungsstücke. Eine Ausgabe von Tante Sallys Methodik der Traumdeutung, ein Buch, das Traumbilder in Lottozahlen übersetzte. Ein Zweidollarchip aus dem Casino in der Innenstadt. Mardi-Gras-Glasperlen.
    Und eine Postkarte. Sie kam vom Ort der Wunder in Kalifornien. Auf der Vorderseite war das Haupthaus abgebildet, eine große, einladend wirkende Hütte unter Mammutbäumen.
    »Scheiße«, sagte ich.
    »Wie bitte?«, sagte Leon.
    »Verdammt«, sagte ich, »habe ich das eben laut gesagt?«
    Marsha und Leon nickten besorgt.
    »Was ist denn?«, fragte Marsha. »Haben Sie einen Hinweis gefunden?«
    »Und ob« sagte ich, »einen sehr wertvollen sogar. Sehr wertvoll. Zum Glück bin ich persönlich hergekommen. Auf diesen wichtigen Hinweis hätte ich ungern verzichtet.«
    »Oh«, sagte Marsha, »das ist irgendwie aufregend.«
    »Es ist immer aufregend«, sagte ich selbstzufrieden.
    Leon lächelte höflich. Er sah angespannt und unglücklich aus.
    Ich drehte die Postkarte um. Sie war an Jack adressiert, unter dieser Anschrift. Der Poststempel war vom 1. Januar. Ich war nur

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