Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)
wenige Tage später in New Orleans eingetroffen. Neben die Adresse hatte jemand mit schwarzem Kuli eine Nachricht geschrieben:
Der Fall des grünen Papageien.
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I n unserem Viertel in Brooklyn war meine Familie eher unbeliebt. Wir waren arm, weiß und merkwürdig, und wir hatten für nichts davon eine Entschuldigung. Ringsum wohnten nur Afroamerikaner, Puerto-Ricaner, Dominikaner und Haitianer und Jamaikaner, von denen sich nur wenige noch darum bemühten, der Arbeiterklasse anzugehören. Die meisten hatten sich längst aufgegeben. Der Umstand, dass Mutter und Vater farbige Menschen verachteten, machte es nicht besser.
Die Villa war seit vielen Generationen im Besitz der Familie väterlicherseits gewesen. Es hatte ein paar Anwärter gegeben, die in der Erbfolge vor meinem Vater standen; aber wie so oft hatte er es geschafft, sich irgendwie vorzudrängeln. Allerdings hatte niemand das Haus wirklich gewollt; es hatte jahrelang leer gestanden. Die Garage war zu einem Pissoir und das Gartenhäuschen zu einem Schießstand verkommen. Die Nachbarhäuser rechts und links hatte man schon vor langer Zeit in Mietshäuser umgewandelt, und auf der gegenüberliegenden Straßenseite erstreckte sich, soweit das Auge reichte, eine Sozialsiedlung aus hässlichen Backsteinblöcken. Soweit ich wusste, hatten Mutter und Vater es jahrelang auf das Haus abgesehen, bis sie es endlich in die Finger bekommen hatten. Ich dachte oft, dass sie nur wegen des Hauses noch verheiratet waren. Keiner gönnte es dem anderen.
Meine Eltern waren beide gleichermaßen gutaussehend und intelligent und, soweit ich es beurteilen konnte, gleichermaßen lebensunfähig. Mein Vater verjagte die Hausbesetzer mit einer Schrotflinte, unternahm danach aber nichts weiter, um den Zustand des heruntergekommenen Gebäudes zu verbessern. Warmwasser gab es nur sporadisch, und selbst auf das kalte Wasser war nicht immer Verlass. Die Heizungsleistung in den Schlafzimmern reichte gerade aus, um einen Warmblüter am Leben zu erhalten; andere Stockwerke, ja ganze Gebäudeflügel, mussten ohne Heizung auskommen. Die rückwärtige Treppe war so morsch, dass man sie nicht betreten konnte. Das original erhaltene Geländer aus abgegriffenem Holz machte das Besteigen der Vordertreppe zu einem Abenteuer, aber niemand machte sich die Mühe, es zu ersetzen.
Meine Eltern richteten sich in ihrer kleinen Privathölle ein und umgaben sich mit entthrontem Adel und zwielichtigen Hausierern, falschen Doktoren und Ouijabrett-Experten – in anderen Worten: mit ihresgleichen.
»Halt den Mund und hör zu, Liebes «, fuhr Mutter mich an, wenn ich mich einem Gast gegenüber nicht aufmerksam genug zeigte. »Hier geht es um deine Bildung. « In ihrem österreichischen Akzent klang das Wort so gedehnt und verzerrt, als bezeichne es eine Obszönität.
Es gab den Gesundheitsfanatiker, der auf Apfelessig schwor; den Hellseher, der meinen Eltern baldigen Reichtum in Aussicht stellte; den Astrologen, der meine Mutter überzeugte, eine Reinkarnation der Isis zu sein; den Cousin dritten Grades, der eigentlich ein Graf war und damit das passende Gegenstück zu meiner Mutter, der Marquise.
O ja, wir waren adelig – zumindest bestand meine Mutter darauf, genauso, wie sie darauf bestand, dass Apfelessig sich hervorragend zur Kinderernährung eigne. Wenngleich sie der Königin von Habsburg genau genommen weniger nah stand, als sie glaubte, floss doch blaues Blut in ihren Adern. Sie war schön, elegant und fast berühmt. Meine Eltern waren mit Andy Warhol und den Betreibern des Studios 54 befreundet; sie kannten Grafen und Herzoginnen und Filmstars; meine Mutter fuhr in einem offenen Sportwagen durch die Stadt und warf die Knöllchen auf den Rücksitz; mein Vater sammelte seltene Bücher, die ihm die Antiquariate aufgrund seines Namens auf Rechnung schickten. Vor dem Umzug in die Villa hatten sie im Chelsea Hotel gelebt, im El Quijote anschreiben lassen und die legendär hohe Rechnung nie beglichen.
Meine Eltern stammten beide aus alten, wohlhabenden Familien. Meine Mutter war Österreicherin, mein Vater gebürtiger Amerikaner. Mutter verachtete Vaters Familie dafür, ihr Geld mit ehrlicher Arbeit verdient zu haben – sein Großvater war im Stahlgeschäft gewesen –, und sie erinnerte ihn bei jeder Gelegenheit daran.
»Niemals hätte ich einen Amerikaner heiraten dürfen!«, schrie sie bei jedem Streit. »Sieh mal, dem klebt der Dreck noch an den Fingern. Der hat Schwielen! « Wenn sie wütend
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