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Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Titel: Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gran
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war, kam ihr österreichischer Akzent besonders durch.
    »Sieh dir die Prinzessin an«, konterte Vater. »Sieh dir bloß die Prinzessin an! Madame ist heute wieder mit dem Personal unzufrieden, was?«
    »Nein, ist sie nicht!«
    Dabei waren die Vorwürfe meiner Mutter vollkommen unbegründet. Mein Vater hatte keinen einzigen Tag in seinem Leben gearbeitet. Das jeweilige Familienvermögen war viele Male aufgeteilt worden, und obwohl beider Erbanteile zusammengenommen uns einen angenehmen Lebensstandard hätten sichern können, war es meinen Eltern nie angenehm genug. Sie hatten weder Interesse daran zu sparen, noch, sich einen Job zu suchen. Sie wollten wieder zu den Reichen gehören, und sie waren davon überzeugt, sich eines Tages durch die Hintertür wieder einschleichen zu können. Eine Dividendenausschüttung, von der wir ein Jahr hätten leben können, verwandelte sich im Handumdrehen in eine Tüte Lebensmittel, eine Zahlung an den »Chakrologen« Dr. Bradley, eine Pelzstola für Mutter sowie eine Investition in ein Geschäftsmodell, das den Import ätherischer Öle aus Bayern vorsah, schockierenderweise aber nie Gewinn abwarf. Soweit ich es beurteilen konnte, waren meine Eltern nur an Geld und Glamour interessiert. Was sie an Ersterem nicht hatten, kompensierten sie mit Zweiterem. Keiner von beiden verließ je das Haus, ohne vorher eine Stunde vor dem Spiegel verbracht zu haben. Sie ließen keine gute Party aus und taten nicht einmal so, als interessierten sie sich für die Grundsteuer oder unbezahlte Rechnungen und all die anderen Langweilereien des Alltags.
    Als wir einzogen, türmte sich im Haus der Abfall und der Ramsch der Familie DeWitt, nur dass alle Gegenstände von Wert schon vor langer Zeit entfernt und verkauft worden waren: Kunstwerke, Tafelsilber, Porzellan, Haushaltsgeräte. Die Buntglasscheibe im Salon war ausgebaut und durch eine Spanplatte ersetzt worden. Kronleuchter, Türklinken und ganze Kaminsimse waren der Geldgier der DeWitts zum Opfer gefallen. Übrig geblieben waren alle wertlosen Bücher und Alben, Truhen voller alter Kleider und kistenweise angeschlagenes Geschirr. Wie ein Abhängiger, der im Notfall versucht, Maisstroh zu rauchen, durchwühlte meine Mutter Dachboden und Kleiderschränke, wenn sie Bares brauchte. Manchmal überraschte sie uns mit einer silbernen Gabel oder einem Satz Perlmuttknöpfe.
    Alte Villen stecken voller Geheimnisse; hier schichten sich die Leben und die Jahre übereinander und hinterlassen ihre Spuren. Als Kind grübelte ich über jedem Zentimeter des verfallenen Herrenhauses. Wer war Großtante Eve, und warum fehlten in ihrer Ausgabe von Das Kapital die ersten drei Seiten? Warum gab es im Erdgeschoss einen Schalter für das Licht im zweiten Stock? Wer hatte Wert auf eine direkte Verbindung vom Schlafzimmer zur Gesindekammer gelegt, und wer ließ den Gang Jahre später zumauern? Warum weinte Mutter so oft? Warum brüllte Vater? Warum war genug niemals genug?
    Und das größte Rätsel von allen: Warum waren wir so unglücklich?
    Bis ich Kelly und Tracy kennenlernte, war ich diesen Geheimnissen ganz allein auf der Spur. Aber dann schlossen wir uns zu einem Team zusammen und ermittelten gemeinsam.
    Am ersten Tag des vierten Schuljahres setzte ich mich neben Tracy. Sie war mir schon früher aufgefallen, ebenso wie ihre Freundin Kelly. Keine der beiden hatte mich sonderlich beeindruckt, und ich hatte den Platz nur gewählt, weil er frei war und ich mir sicher sein konnte, dass von Tracy keine physische Bedrohung ausging. Ich war nie ernstlich verletzt worden, aber Klapse und Haareziehen, eher ärgerlich als wirklich bedrohlich oder schmerzhaft, gehörten in unserem Viertel zum normalen Umgang.
    Dann entdeckte ich Tracys offiziellen Cynthia-Silverton-Dechiffrier-Ring für Detektivinnen. Sie trug ihn am Ringfinger der linken Hand, als wäre sie verheiratet.
    »Du hast ihn«, flüsterte ich.
    Ich hatte eine Anzeige für diesen Ring auf der Rückseite des letzten Cynthia-Silverton-Mystery-Sammelbandes gesehen. Die jugendliche Detektivin und Studienanfängerin Cynthia Silverton wusste genau, dass Tante Agnes den Bangkok-Smaragd nicht gestohlen hatte. Aber wer dann?
    Ohne den Ring würde ich es nie erfahren.
    Tracy sah mich an und lächelte. Ringsum schien es mucksmäuschenstill zu werden, als sie die Hand vorstreckte wie eine junge Braut, und ihren Ring präsentierte.
    »Ich habe ihn«, flüsterte sie. Wir bestaunten den Ring ehrfürchtig. Ich war mir sicher, nun würde

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