Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)
Da stand er nun. Ich und meine Jungs am einen Ende der Straße, Trey am anderen. Die Häuser standen leer, weit und breit war niemand zu sehen. Wir waren allein. Trey hat kein Wort gesagt, als er mich gesehen hat. Hat einfach nur dagestanden und mich angesehen. Und dann hat er die Arme hochgehoben, so als wollte er mich von weit weg umarmen. Hat die Arme ausgebreitet. Das leichteste Ziel der Welt. Und dann taucht Terrell auf. Steht wie ein bekloppter Irrer zwischen uns auf der Straße.« Andray schüttelte den Kopf. Terrell schwieg. »Aber ich hatte meine Entscheidung getroffen. Meine beschissene Entscheidung. Ich hab Terrell aus dem Weg geschubst und Trey eine Kugel verpasst. Ich habe Trey erschossen.
Ich habe ihn erschossen.
Ich konnte nicht sehen, wo ich ihn getroffen hatte, aber ich hatte getroffen. Und eine Sekunde stand er still da. Weniger als eine Sekunde, ganz kurz nur stand er still da und hat mich angesehen. So als wollte er sagen: Andray! Und da, genau in dem Moment, habe ich sein Gesicht gesehen – und begriffen, was ich getan hatte. Ich hatte meinen besten Freund ermordet. Wissen Sie, er war ja noch nicht tot, aber er würde sterben. Das habe ich gesehen. Ich hatte ihn umgebracht – den einzigen Menschen, der je gut zu mir gewesen war. Der einzige, der mich wirklich geliebt hat. Meinen Bruder. Ich hatte nur ihn und Terrell. Ich hatte ihn umgebracht, und ich wusste nicht mal mehr den Grund. Aus Wut. Ich war immer so verdammt wütend. Wissen Sie, es war so, wie Sie gesagt haben: Ich dachte, er legt mich zuerst um. Ich wusste nicht mal, wofür. Aber ich war überzeugt, der Wichser wollte mir was antun. Und dann ist Trey umgekippt, also ganz normal. Überall kam Blut raus – aus seiner Brust, seinem Mund, seinen Ohren und Augen. Ich bin hingerannt. War mir doch egal, ob mich jemand sah. Mir war plötzlich alles egal. Alles! Ich hatte keine Angst, wie eine heulende Tunte auszusehen. Ich wusste nämlich, dass ich den größten Scheißfehler meines Lebens gemacht hatte. Ich habe ihm gesagt, wie sehr ich ihn liebe und dass es mir leidtat. Ich habe geheult … Scheiße, ich habe geheult wie zuletzt als kleiner Junge. Ich habe mich richtig gehenlassen. Ich habe gesehen, wie das Blut aus ihm rauslief. Sein Herz hat immer weitergepumpt, als wüsste es nicht, dass es das ganze Blut rauspumpt, auf die Erde. Ich habe ihn festgehalten, und sein Blut ist über mich gelaufen, auch in mein Gesicht und meine Augen. Ich habe gesagt: Ich liebe dich. Ich habe alles falsch gemacht, und ich weiß das jetzt, aber ich liebe dich. Ich liebe dich so sehr.«
Andray hielt inne und lachte, um zu überspielen, dass er weinte.
»Und dann war es auf einmal, als würde die Zeit langsamer vergehen. Als würde die Zeit stehenbleiben. Und dann fühlte ich etwas, es war wie … na ja, ich kann es nicht erklären. Irgendwas ist passiert. Es war wie ein Windstoß, warm und gleichzeitig kalt. Und dann setzt Trey sich plötzlich auf und sagt: ›Andray, warum weinst du?‹«
Wieder lachte Andray, aber das mit dem Überspielen funktionierte nicht mehr. Er beugte sich über Terrell, um aus dem Fenster zu spucken.
»Hat mich zu Tode erschreckt«, fuhr er fort, »ich bin fast umgekippt. Aber es ging ihm gut. Er ist aufgestanden und war okay. Wir waren beide voller Blut, aber er war heile. Keine Verletzungen am ganzen Körper, nicht einen Kratzer.«
Ich sah Terrell an. Er erwiderte meinen Blick und nickte feierlich. »Bei Gott, das stimmt«, sagte er, »ich habe es selbst gesehen. Der Wichser ist einfach aufgestanden und weggegangen, der Trottel war genau wie immer.«
Beide Jungen lachten nervös.
»Ich habe wieder zu heulen angefangen«, sagte Andray kopfschüttelnd. »Bis Trey mir gesagt hat, ich soll damit aufhören. Er hat gesagt: ›Es ist vorbei. Du musst nirgendwohin. Also hör auf zu heulen und halt die Klappe.‹ Er hatte es gewusst. Ich … na ja, ich hätte nicht damit leben können. Wenn er gestorben wäre, hätte ich gleich da mit ihm sterben wollen. An seiner Seite. Er hat mich umarmt, und wir waren beide so … glücklich.«
»Und dann fing es zu regnen an«, sagte Terrell lächelnd.
»Einfach so«, sagte Andray und schnipste mit den Fingern. »Einfach so bricht ein Riesengewitter los und spült das Blut ab. Wir waren beide klatschnass und sauber, als hätten wir geduscht. Und das Wasser war nicht so dreckig wie sonst. Es war ganz sauber, wie aus der Flasche. Und dann hat es ganz plötzlich wieder aufgehört.« Er
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