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Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Titel: Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gran
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im Erwachsenenalter keiner Fliege was zuleide. Aber fast allen Fliegenmördern wurden einst selbst die Flügel gebrochen.
    Sie hatte es gewusst. Leons Mutter hatte es gewusst.

40
    A n dem Nachmittag fuhr ich zum letzten Mal zum Congo Square. Ich machte mir nicht die Mühe, freundlich aufzutreten oder mich zu verkleiden. Ich versuchte gar nichts. Stattdessen setzte ich mich hin und schaute den Männern dabei zu, wie sie mich ignorierten. Jack Murray saß wie immer am Picknicktisch. Ich hatte drei Zigarettenschachteln dabei. Die erste wurde ich binnen zehn Minuten los.
    »Haben Sie eine Zigarette?«, fragte mich ein Mann. Er war mindestens fünfzig und trug Klamotten, die ein Jahr lang nicht mehr gewaschen worden waren.
    »Klar«, sagte ich.
    Als ich die Packung aus meiner Handtasche zog, um ihm eine Zigarette anzubieten, riss er sie mir aus der Hand und lief davon. Ich hätte ihn erschießen können, aber das schien nicht der Mühe wert. Zigaretten sind billig in Louisiana.
    Ich hörte jemanden lachen. Ich drehte mich um und sah eine Frau im Gras sitzen. Sie strahlte eine königliche Würde aus, wie sie da hockte, eine Literflasche Bier in der Hand, einen grünen Turban auf dem Kopf und alle Habseligkeiten in dem Einkaufswagen neben sich. Sie lachte mich aus.
    Ich drehte mich wieder um.
    Der nächste Besucher war ein alter, längst vergessener Mann, der jene Sorte zerschlissenen Trenchcoat trug, die sich jeder Penner irgendwann zwischen Gefängnis und Heilsarmee, zwischen Schnapsladen und offenem Strafvollzug zulegt.
    »Haben Sie mal einen Dollar?«, fragte er.
    »Nein«, sagte ich, »sorry.« Ich hätte kleine Scheine und Wechselgeld griffbereit halten sollen, hatte es jedoch vergessen.
    Der alte Mann griff nach meiner Handtasche. Ich riss die Tasche an mich und legte ihm eine Hand an die Brust. Die Männer am Picknicktisch schauten gelangweilt zu, auch Jack Murray.
    Meine schwarze Krokohandtasche hatte einmal Constance gehört. Angeblich hatte Mademoiselle sie in Paris persönlich für Constance genäht. Sie war von innen größer als von außen und brachte fast alles durch Röntgenkontrollen oder vorbei an Geigerzählern. In den Innentaschen waren weitere Innentaschen, in den Geheimfächern Geheimfächer. Aus dieser Tasche ließen sich jederzeit die Lösungen zu mindestens siebzehn Rätseln ziehen. Im Notfall verwandelte sie sich in ein Zelt, in dem ich Unterschlupf fand, bis die Lage sich beruhigt hatte.
    »Nein«, sagte ich.
    Er schlug meine Hand weg und kämpfte weiter um die Tasche.
    »Stopp«, sagte ich, »Schluss jetzt. Stopp!«
    Er schob meinen Arm weg und griff wieder nach meiner Tasche.
    »Im Ernst«, sagte ich, »hören Sie auf. Ich will Ihnen nicht weh tun.«
    Die Frau hinter mir fing wieder zu lachen an. Eigentlich war es mehr ein Gackern. Der Mann und ich lieferten uns ein mehrminütiges Handgemenge. Wir rangen um die Tasche, mehr als uns darum zu schlagen.
    »Kommen Sie«, sagte ich, »hören Sie auf.«
    »Her mit der Tasche!«, keuchte der Mann erschöpft.
    »Nein«, sagte ich verärgert. »Schluss jetzt!«
    Aber er hörte nicht. Stattdessen rangen wir weiter, bis ich die Geduld verlor, innehielt, mich losmachte und ihm mein linkes Knie in die Hüfte rammte. Als er sich wie vorausgesehen vor Schmerz zusammenkrümmte – er war vorzeitig gealtert und kein echter Gegner –, schlug ich ihm erst mit der rechten und dann mit der linken Faust ins Gesicht.
    Ich verletzte ihn nicht schwer, zumindest nicht körperlich. Aber offenbar war er in anderer Hinsicht verwundet. Mit offenem Mund und völlig geknickt sah er mich an.
    »Leck mich!«, sagte er empört, so als hätte ich angefangen. Inzwischen schauten alle zu.
    »Leck mich!«, wiederholte er.
    »Okay«, sagte ich leise.
    Er blieb stehen und starrte mich eine weitere Minute lang an. Vielleicht wartete er auf eine Art Auflösung. Er sollte keine bekommen. Nach einer Weile schlurfte er davon.
    Ich beschäftigte mich wieder mit Nichtstun. Ich hatte mir vorgenommen, für den Rest meines Lebens täglich hier zu erscheinen, falls es nötig war. Zum Glück war ich keine Schönheit mehr. Derlei Unternehmungen fielen einem so viel leichter, wenn man nicht schön war. Ich würde herkommen und Leute verprügeln, bis Jack Murray mit mir redete. Natürlich würde es mich Unmengen von Zigaretten kosten, aber wenigstens würde ich in Form bleiben. Ich hatte jahrelang Kampfsport trainiert – Constance hatte darauf bestanden –, hatte aber seit Ewigkeiten kein

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