Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Titel: Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gran
Vom Netzwerk:
Telefon habe«, sagte sie. »Kannst du dich an den Jungen erinnern, der Junge, der das Bier gezapft hat bei der, bei der Broadway-Houston-Party in der … hm, warte, Mist, nun ist es mir runtergefallen.« Ich hörte Papier rascheln. Dann hörte ich, wie der Hörer zu Boden fiel. Als sie ihn wieder aufhob, knackte es in der Leitung.
    »30. Dezember 1984«, sagte sie, »er trug Jeans und ein schwarzes T-Shirt und schwarze Schuhe mit dicker Kreppsohle. Etwa eins fünfundsiebzig groß, dunkles Haar. Ach ja, am Ellbogen hatte er einen kleinen, eintätowierten Stern. Neben dem Ellbogen, seitlich am Arm. Ich glaube, du hast ihn zum letzten Mal im Julian’s gesehen, am 11. Juni 1986. In dem Billard-Schuppen«, präzisierte sie für den Fall, dass ich es vergessen hatte. Hatte ich nicht. Broadway-Houston-Partys waren in den achtziger Jahren und wahrscheinlich auch davor der letzte Schrei gewesen: Man mietete in Manhattan einen der Tanzsäle an der Kreuzung Broadway und Houston an, besorgte ein paar Fässer Bier und nahm vier oder fünf Dollar Eintritt. Julian’s war ein Billardsalon in der 14. Straße. Einer der Getränkeautomaten dort hatte abends auch Bierdosen ausgespuckt.
    Inzwischen zählte die Gegend an der Kreuzung von Broadway und Houston zu den teuersten Wohnvierteln der Welt. Das Julian’s war schon vor langer Zeit abgerissen worden, und an der Stelle waren NYU-Studentenwohnheime mit Backsteinfassade entstanden.
    Ich hörte in der Ferne einen Schuss.
    »Julian’s«, sagte ich, »lass mich nachdenken.« Damals waren Tätowierungen in New York eine Seltenheit gewesen, besonders an jungen Leuten. Als wir uns die Handgelenke tätowierten – ein K für Kelly, ein T für Tracy, ein C für Claire –, wussten manche Leute das nicht einzuordnen. Sie dachten, die Farbe ließe sich abwaschen.
    »Ich glaube, ich kann mich an ihn erinnern. Ich glaube, er hieß Oscar. Nein, warte. Oliver? Den Nachnamen weiß ich nicht mehr. Ich bin mir ziemlich sicher, er wohnte in Manhattan. Oder Queens. Auf keinen Fall Brooklyn. Er hatte viele Freunde an der Stuyvesant Highschool, aber ich weiß nicht mehr, ob er da selber hinging. Aus irgendeinem Grund würde ich ihn der Bronx Science zuordnen. Weiß auch nicht, warum.«
    »Freunde und Bekannte?«, fragte sie.
    »Hm … Hannah. Kannst du dich an Hannah erinnern? Livie. Todd. Nakita. Rain. Rain von der Stuyvesant, nicht der Rain von der Midwood.«
    »Bevorzugter Aufenthaltsort?«
    »Julian’s Pool Hall. Maude’s. Cherry Tavern. Blanche’s. Auf der Sheep’s Meadow im Central Park – da habe ich ihn mindestens ein Mal gesehen.«
    »Noch etwas?«, fragte sie.
    Ich dachte nach. Eine zweite Schusswaffe antwortete der ersten, es war eine Halbautomatik, deren Pop-pop-pop ich rattern hörte.
    »Er war süß«, sagte ich, »und er war mit diesem Mädchen aus der Mod-Szene zusammen. Sie hatte rotes, langes Haar und einen Pony.«
    »Du meinst knalliges Neonrot?«
    »Nein, eher so ein dunkelblondes Rot. Gefärbt, aber fast natürlich aussehend. Fast. Manchmal trug sie einen schwarz-weißen Minirock mit Schachbrettmuster. Dazu schwarze Strümpfe und Schuhe mit Kreppsohle, die hohen.«
    »Sechs Zentimeter?«
    »Vielleicht sogar sieben«, sagte ich. »Und sie hatte einen weißen Mantel. Diesen tollen, alten Ledermantel mit schwarzem Kunstfellbesatz. Kunstfell, das aussah wie ein ausgestopftes Tier. Ein Männermantel aus dem Jahr 1973, vielleicht ’74, in der Art. Der war todschick.«
    »Warte«, sagte sie. Ich hörte Papier rascheln, als sie in ihren Aufzeichnungen wühlte. »Ich wusste es«, sagte sie. »Der weiße Mantel. Ich glaube, wir meinen Nicole Abramowitz. Ich bin mir fast sicher. Hm, ging sie auf die Packer? Meinen Recherchen zufolge war sie unter anderem mit einem Oscar Goldstein befreundet. Ich …«
    »Nein«, unterbrach ich sie, »ich kannte Oscar Goldstein. Er war nicht der Junge mit dem Tattoo.«
    »Hm«, machte sie wieder. »Tja. Na dann stehe ich wohl mit leeren Händen da.«
    »Was ist denn?«, fragte ich. »Hast du etwas herausgefunden?«
    Aber ich kannte die Antwort.
    »Nein«, sagte Kelly.
    Dann legte sie auf.
    In der Ferne hörte ich Polizeisirenen jaulen. Ich fühlte einen pochenden Kopfschmerz, und mein Mund war ausgetrocknet.
    Ich setzte mich im Bett auf und schaute aus dem Fenster. Ein Leichenwagen fuhr vorbei.
    Heute würde es kein Happy End geben.

43
    A m frühen Morgen des 11. Januar 1987 standen Kelly, Tracy und ich in Lower Manhattan auf dem U-Bahnsteig

Weitere Kostenlose Bücher