Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)
Das muss ich zugeben. Aber – ich weiß auch nicht. Ich mag es.«
»Hast du es wirklich von Vic?«, fragte ich skeptisch.
»Klar«, sagte er. »Einmal hat er gesehen, dass ich mich dafür interessiere. Ich weiß auch nicht. Der Umschlag hat mir gefallen.« Er zog Détection heraus und bog es zwischen den Händen hin und her. Ich hatte an der Beule in seiner Hosentasche gesehen, dass er das Buch ständig bei sich trug.
»Jedenfalls«, fuhr er fort, »hat Mr. Vic mich damit gesehen, und er meinte, ich könne es behalten. Er meinte, ich könne mehr damit anfangen als er.« Andray zuckte die Achseln. »Keine Ahnung, was er damit sagen wollte.«
»Was denkst du«, fragte ich, »über das Buch?«
Andray lächelte. »Ganz ehrlich, es ergibt überhaupt keinen Sinn«, sagte er, »und es ist schwer zu lesen. Aber irgendwie … ich weiß auch nicht. Ich mag es trotzdem. Er sagt eine kleine Sache, die gefällt mir am besten. Er sagt an einer Stelle, wenn man sich an einem Rätsel festklammert, wird man es nie lösen. Man muss es durch die Finger rutschen lassen, dann kommt es zurück und offenbart sich. Ich weiß auch nicht … das gefällt mir. Nicht, dass ich viele Rätsel zu lösen hätte«, sagte er, als schäme er sich ein bisschen. »Es ist nur … Sie wissen schon. Eine kleine Lebenshilfe.«
»Wer sich am Rätsel festkrallt, wird es niemals lösen«, zitierte ich erstaunt. »Nur derjenige, dem es durch die Finger rinnt, wird es in seiner Gänze erblicken und sein Geheimnis erfahren.«
Tracys Lieblingszitat aus Détection.
»Rede mit Mick«, sagte ich, »lass dir helfen.«
Er nickte und sah mich an.
»Tut mir leid«, sagte ich. »Tut mir leid, dass ich dich verdächtigt habe, Vic umgebracht zu haben.«
Er sah mich an und nickte.
»Ich weiß«, sagte er, »tut mir leid, dass ich Sie angelogen habe.«
»Ist schon okay«, sagte ich. »Nur eins zählt: dass am Ende die Wahrheit herauskommt.«
Aber die Wahrheit war noch lange nicht draußen.
Andray holte uns zwei weitere Daiquiris, während ich am Tisch sitzen blieb. Er hatte mir viel Wahres erzählt, aber im wichtigsten Punkt hatte er gelogen.
Er wusste, wer Vic Willing ermordet hatte. Er war am Mittwochabend nicht wegen der Lebensmittel in Vics Wohnung gewesen. Ich wusste nicht, warum er dort gewesen war, aber bestimmt nicht aus diesem Grund.
Niemand schaut einem direkt in die Augen, wenn er die Wahrheit sagt.
Wir tranken noch ein paar Daiquiris, und gegen drei Uhr morgens murmelten wir ein paar unaufrichtige Freundschaftsbekundungen, klopften einander in einer männlichen, aufgesetzten Geste auf die Schulter und gingen getrennter Wege in die Nacht hinaus.
49
I n jener Nacht legte ich mich nur mit T-Shirt und Unterhose bekleidet ins Bett und zündete mir einen Joint an, was mir einige Schwierigkeiten bereitete, wollten Joint und Feuerzeugflamme partout nicht zusammenfinden.
Es war fast vier Uhr morgens. Ich hatte mit Andray in der Bar gesessen und Daiquiris getrunken und so getan, als kaufe ich ihm seine Lügengeschichten ab. Ich hatte darauf gehofft, er würde sich irgendwie verplappern, aber nichts war passiert.
Ich hatte ihn gelockt, beschimpft und ihm einen Revolver an den Kopf gehalten.
Wenn er mir die Wahrheit bis jetzt nicht erzählt hatte – was der Fall war –, würde er es auch zukünftig nicht tun, egal was ich versuchte. Mir fielen keine neuen Tricks mehr ein. Ich hatte mein letztes Kaninchen aus dem Zylinder geholt.
Leon hatte mich gefeuert. Jemand hatte vergeblich versucht, mich umzubringen, ein paar andere standen vermutlich schon mit ähnlicher Absicht bereit. Micks Vertrauen in mich war von Anfang an gering gewesen und mittlerweile erschöpft. Niemand bezahlte mich, niemand konnte mich leiden. In New Orleans nicht und auch nirgendwo sonst.
Der Fall verlief ausgesprochen typisch.
Ich setzte mich auf und kramte nach der Akte, die ich für den Fall des grünen Papageien angelegt hatte.
Ich fing noch einmal von vorn an, mit den ersten Informationen, die ich über Vic gesammelt hatte, und las mir alles bis zum Schluss durch, alle Zeugenaussagen, alle Tatsachen und Zahlen, jedes Omen und jedes Zeichen. Was ich nicht aufgeschrieben hatte, ging ich in Gedanken durch.
Als ich gegen fünf Uhr eindöste, wusste ich nur eins.
New Orleans war keine Stadt für ein Happy End.
50
I ch war in der New Yorker U-Bahn. Es war Nacht. Aus irgendeinem Grund merkt man beim U-Bahn-Fahren immer, welche Tageszeit gerade ist.
Tracy saß neben
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