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Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Titel: Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gran
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betrachtete uns eindringlich. Dann drehte er sich um und führte die anderen an die Ecke zurück.
    Ich holte tief Luft und steckte den Revolver wieder in meine Tasche.
    Mit weit aufgerissenen Augen trat Andray von einem Fuß auf den anderen. Er war so wie alle anderen in New Orleans – er fürchtete sich grundlos und nahm andererseits klaglos hin, was ihn hätte erschrecken müssen.
    »Wo können wir uns unterhalten?«, fragte ich.
    Er zuckte die Achseln. Er versuchte vergeblich zu schlucken und spuckte schließlich aus.
    »Hör mal«, sagte ich, »ich will dir nichts tun. Ich will nicht auf dich schießen. Und ich will dich wirklich nicht umbringen. Aber wenn du mir noch mal weh tust, wenn du noch ein Mal versuchst, mir weh zu tun, kann ich für nichts mehr garantieren. Okay?«
    Er nickte.
    »Und wenn du mir nichts tust, dann passiert auch dir nichts«, sagte ich. »Andray, ich mag dich. Ich wünschte mir, wir könnten Freunde sein. Oder zumindest eine Waffenruhe beschließen. Wäre das okay?«
    Er nickte wieder.
    »Steigst du jetzt ein?«, fragte ich.
    »Auf keinen Fall, verdammt«, sagte er kopfschüttelnd.
    »Okay«, sagte ich, »dann gehen wir zu Fuß.«

    Der Daiquiri war das Nationalgetränk von New Orleans. Es gab verschiedene Ketten, die das Zeug verkauften wie Milchshakes und die Daiquiris aus riesigen Maschinen in Plastikbechern zu einem halben, einem oder zwei Litern abfüllten. Es gab sogar Daiquiri-Drive-ins, wenn auch nicht in dieser Gegend. Der nächste Daiquiri-Laden in Andrays Viertel lag an der Kreuzung von St. Charles und Josephine. Wir liefen schweigend dorthin.
    Innen war der Laden schwarz gestrichen. Wir setzten uns in eine Ecke, und ich holte zwei Daiquiris, Erdbeer für Andray und Kokos für mich. Aus den Lautsprechern drang alte Soulmusik, was dem Publikum, meistenteils in meinem Alter oder darüber, gut gefiel. Ein paar angetrunkene Paare tanzten, aber die meisten Gäste saßen herum, unterhielten sich lautstark und lachend oder leise und ernst.
    Ich hatte Andray eine verdammt harte Stunde bereitet, und als ich ihn nun betrachtete, sah ich, was alle Pflegeeltern und Drogendealer schon vor mir gesehen haben mussten: einen Schmerz, gegen den es kein Heilmittel gab, den er aber um jeden Preis in der Welt für eine Weile betäuben wollte. Er starrte mich aus großen, hübschen Augen an. Du hast mir das angetan, sagten diese Augen, nun mach es wieder gut.
    »Andray«, sagte ich, »ich weiß, dass du Vic Willing nicht umgebracht hast. Ich glaube, ich weiß, was mit ihm passiert ist. Ich muss aber wissen, warum du mich bedroht hast und was du über Vic weißt. Ich weiß, dass du mich belogen hast, und ich will die Wahrheit herausfinden. Das ist mein Beruf. Und egal, was es ist, ich verspreche dir, nicht zur Polizei zu gehen, okay?«
    Er nickte. Ich wusste nicht, was er dachte.
    »Glaub mir nicht, weil ich eine Autoritätsperson bin«, sagte ich. »Glaub mir, weil ich Micks Freundin bin, und der hat dir immer nur Gutes gewollt. Glaub mir, weil du mich kennst, ein bisschen wenigstens, und auch ich dir nur Gutes will.«
    Andray schaute zur Seite, dann sah er mir ins Gesicht und nickte. Er atmete durch und entspannte sich ein wenig. Ich auch. Wir hatten eine Abmachung.
    »Was, zum Teufel«, sagte ich, »sollte das gestern Abend?«
    »Scheiße«, sagte er, »tut mir echt leid, Miss Claire.«
    »Jaja«, sagte ich. »Aber wieso, zum Teufel? Warum hast du das getan?«
    Andray seufzte. »Verdammt«, sagte er. »Ich war mit ein paar Jungs zusammen, die Sie gesucht haben. Die hatten gehört, dass Sie neulich mitbekommen haben, wie Deuce fast erschossen wurde. Die waren das, wissen Sie. Als ich hörte, wie die sich über eine verrückte weiße Lady unterhalten haben, wusste ich sofort, was Sache war. Ich habe denen erzählt, ich würde mich drum kümmern.«
    »Du meinst, die wollten mich umbringen«, sagte ich. »Die hielten mich für eine Zeugin und wollten mich deshalb aus dem Weg räumen.«
    Andray nickte.
    »Und du hast sie aufgehalten«, sagte ich.
    »Das ist ja so verdammt nobel von dir!«, sagte ich. »Das Herz geht mir auf, Andray. Es platzt, jetzt und hier. Wow …« Ich hielt inne. »Hast du das gehört? Das war mein Herz, es ist zerplatzt und runtergefallen.«
    Er lachte. Er sah mich an, und zum ersten Mal kam er mir vor wie ein ganz normaler Junge mit einem ganz normalen Lachen. Ich hatte eine blitzartige Vision von Andray, wie er sein könnte, wenn er irgendwo anders als hier zur Welt

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