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Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Titel: Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gran
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mir. Sie war wieder vierzehn. Auf ihren Knien balancierte sie ihren alten Kassettenrekorder, kleiner als ein Ghettoblaster und größer als ein Walkman.
    »Das Wichtigste hast du übersehen«, sagte sie. »Dabei habe ich versucht, es dir zu zeigen.«
    Ich streckte eine Hand nach ihr aus, aber als ich sie berühren wollte, entglitt sie mir.
    »Das Wichtigste«, sagte sie, »habe ich dir zeigen wollen, aber du hast nicht hingeschaut.«
    Ihr blonder Pony fiel ihr über die Augenbrauen. Sie roch nach Zigaretten und abgestandenem Bier. Damals rochen wir alle so.
    »Kannst du nicht einfach zurückkommen?«, fragte ich. »Ich vermisse dich. Wir könnten im Holiday was trinken. Keiner wird …«
    »Ich wollte es dir zeigen«, sagte sie und ignorierte meine Bitte. »Schau nach oben.«
    Ich schaute nach oben. An die Decke des U-Bahn-Waggons hatte jemand eine Straßenszene gemalt. Ich sah New Orleans, das Wasser stand in den Straßen, alles war friedlich abgesoffen. Ein Taubenschwarm flog über die Häuser. Die Tauben verließen das Wandgemälde und ließen sich auf Tracy nieder, auf ihren Schultern und ihrem Schoß. Es waren nicht mehr nur Tauben; ich sah weiße Turteltauben, Rotkardinäle und grüne Papageien.
    Auf Tracys Schulter saß eine graue Taube.
    »Wir wollten es dir zeigen«, sagte die Taube, »gleich am ersten Tag. Wir haben dir alle Hinweise gegeben.«
    »Aber du hast nicht hingeschaut«, fuhr ein Star fort. »Wir wollten es dir zeigen, Claire, aber du wolltest es nicht sehen.«
    »Nein«, sagte Tracy, »sie wollte es nicht sehen. Sie …«

    Ich wurde von schrillem Handyklingeln geweckt. Ich lag in meinem Hotelzimmer im Bett, die Blätter aus dem Aktenordner waren überall verstreut. Es war elf Uhr.
    Ich sah aufs Display. Mick.
    »Ich brauche mein Auto«, sagte er.
    »Und ich brauche was zu essen«, sagte ich. »Aber zuerst muss ich baden. In Kaffee.«
    Ich konnte hören, wie Mick die Augen verdrehte. Ich sagte ihm, ich wäre in einer oder zwei Stunden bei ihm. Wir legten auf. Meine Schläfen pochten, und mein Genick fühlte sich an, als hätte jemand versucht, es zu brechen. Ich ging in die Lobby und holte mir zwei Pappbecher verbrannten Kaffee, den ich während eines heißen Bades trank. Nach dem Kaffee gönnte ich mir etwas Gras und drei Ibuprofen. Dieser Fall ging mit zu viel Alkohol und zu wenig Sonnenschein einher.
    Um zwei war ich bei Mick. Er kam herunter und stieg ins Auto, und zusammen fuhren wir zu Casamento’s in der Magazine Street. Während meiner Zeit in New Orleans war es mein Lieblingsrestaurant gewesen; es hatte sich kaum verändert.
    Ich bestellte ein Austernsandwich, unterhielt mich mit der Kellnerin über Shrimppreise, lachte, als ein Kleinkind an den Tisch kam und mir eine Flasche mit scharfer Sauce anbot und dann mit den zwei fetten Katzen im Hinterhof spielte.
    Als ich sah, wie schön es in New Orleans sein könnte, ging es mir nicht besser. Es ging mir schlechter.
    Der Hilfskellner war freundlich und witzig. Er war etwa siebzehn und ging wahrscheinlich zur Schule. Nur Schüler arbeiteten als Hilfskellner. Mick und er begannen ein Gespräch. In New Orleans kannte jeder jeden, auch wenn man manchmal einen Moment brauchte, um sich zu erinnern, warum und woher man jemanden kannte. Der Junge hieß DeShawn.
    »Wie geht es deiner Mom?«, fragte Mick.
    »Ganz okay«, sagte DeShawn. »Sie hat’s nicht leicht.«
    »War sie inzwischen mal bei einem Therapeuten?«, fragte Mick.
    DeShawn schüttelte den Kopf. »Nein, das will sie nicht. Sie geht viel in die Kirche und betet und so.«
    »Sie sollte es versuchen«, sagte Mick, »mir hat das damals sehr geholfen.«
    »Ich weiß«, sagte DeShawn. »Ich hab’s ihr auch gesagt.«
    Während sie sich unterhielten, schaute ich nur selten von meinem Austernsandwich auf. Ein Austernsandwich ist eine anstrengende Angelegenheit, und ich achtete nicht mehr auf mein Umfeld.
    Erst nach und nach bildete ich mir ein Bild von dem Jungen. Er war groß und schlaksig und immer noch dabei, den letzten Wachstumsschub zu verkraften. Er hatte kurzes Haar, einen Diamantohrring und ein paar Tätowierungen, wenn auch weniger als jeder andere Junge, dem ich hier begegnet war. New Orleans war die Stadt mit den meisten Tätowierungen. Auf einem Unterarm des Jungen stand, langweilig und vorhersehbar, ein Mädchenname. Auf dem anderen waren gefaltete Hände mit Kruzifix, ebenso langweilig.
    Über dem Kruzifix war ein Tattoo, wie ich es noch nie gesehen hatte. Es zeigte einen

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