Die Stadt des roten Todes - Das Mädchen mit der Maske: Roman (German Edition)
kleine Kinder sitzen darauf.
Sie tragen keine Masken.
Aber wir befinden uns in einem Haus. Deshalb ist die Luft vielleicht sicher. Ich fummle an meiner Maske herum, wohl wissend, dass man fremden Filtern nicht trauen darf.
Wieder kichert das Mädchen nervös.
»Bist du echt?«, fragt sie.
»Ja.« Ich blinzle. »Wieso fragst du?«
»Er hat noch nie ein Mädchen mit nach Hause gebracht«, sagt der Junge. »Nie. Und du siehst nicht echt aus. So eine Haarfarbe gibt’s doch gar nicht.«
Ich hebe die Arme, um mein Haar glattzustreichen. April hat mir violette Strähnen eingefärbt. Sie passen zwar perfekt zu meinem dunklen Haar, trotzdem habe ich sie gebeten, es nicht mehr zu tun. Violett ist die Farbe der Krankheit, die Farbe der Male auf der Haut, ehe sie zu schwären und zu eitern beginnen.
Die Kinder treten zum Bett und spähen auf mich herunter.
»Du siehst aus, als hättest du geweint.« Das Mädchen streckt die Hand aus, um das verschmierte Make-up um meine Augen zu berühren, doch ich zucke zurück. Ich bin es nicht gewöhnt, dass mir jemand ohne Maske so nahe kommt.
Ich setze mich auf und stelle erleichtert fest, dass ich vollständig angezogen bin.
»Weck ihn nicht auf«, sagt der kleine Junge. »Er arbeitet sehr schwer. Er muss die ganze Nacht wach bleiben.«
»Ja, ich weiß«, sage ich. Ich sehe ihn ja oft bei der Arbeit in den frühen Morgenstunden.
Ich frage mich, ob meine Eltern sich Sorgen machen, wo ich bin.
»Wer seid ihr?«, frage ich die beiden.
»Ich bin Henry«, stellt sich der kleine Junge vor. »Und das ist Elise.«
»Und woher wisst ihr …« Ich zögere, blicke auf die schlafende Gestalt neben mir hinab. »Woher kennt ihr ihn?«
Das Mädchen horcht auf.
»Du wärst gern seine Freundin«, sagt sie.
»Er«, antwortet der kleine Junge, wobei er das Pronomen betont, »ist unser großer Bruder.«
In diesem Moment schlägt besagter großer Bruder die Augen auf und sieht mich an. Er ist jünger, als ich geschätzt habe. Ich dachte immer, er müsse Mitte zwanzig sein, aber jetzt erkenne ich, dass er eher in meinem Alter sein muss. Achtzehn vielleicht.
Das kleine Mädchen beugt sich vor. »Er heißt Will. Das ist die Abkürzung von William.« Diesmal weiche ich nicht vor ihr zurück.
Er lächelt mich an. Sein Lächeln ist von einer unbeschreiblichen Süße; ein Lächeln, das ich jemandem mit so magischen Händen und einem Flüstern, bei dem man eine Gänsehaut bekommt, niemals zugetraut hätte.
Mein Herzschlag beschleunigt sich.
»Aha. Du lebst also.«
»Ich lebe?«
»Tote sind schlecht fürs Geschäft. Erst vor ein paar Tagen ist ein Mädchen an ihrem eigenen Erbrochenen erstickt. Ich wollte nicht, dass dir dasselbe passiert.«
Meine Euphorie verfliegt schlagartig. Er hat mich hergebracht, weil es besser fürs Geschäft ist, und nicht, weil er mich retten wollte. Zumindest nicht, weil er mich so unglaublich gern hat.
»Und ihr beide … belästigt ihr etwa unseren Gast?«, fragt er die Kinder. Die beiden laufen zur Tür, drehen sich aber noch einige Male um, bis er sie mit einer ärgerlichen Geste verscheucht. Kichernd rennen sie davon.
»Euren Gast?«, frage ich so kühl, wie ich nur kann.
»Ich wusste nicht, wie ich dich sonst bezeichnen soll. Der Mensch, von dem ich hoffe, dass er nicht in meinem Bett den Löffel abgibt? Ich habe dich bewusstlos hinter einem Vorhang gefunden, als ich den Laden dichtmachen wollte.«
Meine Scham weicht einem Anflug kalter Wut.
»Und du bist nicht auf die Idee gekommen, mich ins Krankenhaus zu bringen?«
Er hebt eine seiner dunklen Brauen. »Dafür hatte ich keine Zeit.«
Keine Zeit? Er hat mich bewusstlos gefunden und mich zu sich nach Hause mitgenommen, aber es war zu viel verlangt, mich im Krankenhaus oder bei meinem Vater abzuliefern, der sich um eine angemessene medizinische Betreuung gekümmert hätte?
Ich starre ihn wütend an.
Er starrt zurück. Mir fällt auf, dass er in Wahrheit keinen Eyeliner verwendet, wie ich vermutet hatte, sondern dass seine Augen von Natur aus so dunkel und wunderschön sind. Und dass die blanke Wut darin funkelt.
»Okay, nur damit eins klar ist«, sagt er. »Meine Tage sind bis auf die Sekunde genau durchgeplant. Bis auf die Sekunde. Ich bin nicht derjenige, der gestern Abend irgendwelches Zeug eingeworfen und hinter einem Goldbrokatvorhang zusammengeklappt ist. Und ich habe auch keine Freunde, die mich einfach im Club liegen lassen. Okay?«
»Ich hätte sterben können.«
»Inwiefern unterscheidet
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