Die Stadt des roten Todes - Das Mädchen mit der Maske: Roman (German Edition)
ist angelehnt. Am liebsten würde ich sie aufmachen und mir die Hemden ansehen, die er im Club trägt; irgendetwas, das mir vertrauter ist als diese Wohnung. Stattdessen rolle ich mich zusammen und versuche einzuschlafen.
Ich träume, dass ich auf einem Schlitten sitze, ganz oben auf einem Berg. Ich habe die Arme um Finn gelegt, doch als wir am Fuß des Hügels ankommen, bin ich allein. Es ist eiskalt, rings um mich gibt es nichts als Schnee. Keine anderen Kinder, keinen Vater, keinen Finn, obwohl ich seine Wärme immer noch spüren kann.
Ich bin ganz allein. Weinend, in einem Bett, das einem Fremden gehört, der bloß nicht wollte, dass ich während seiner Schicht sterbe.
»Nicht weinen«, sagt der kleine Henry. Lautlos huscht er über den Holzboden und tritt neben das Bett. Doch anstatt mich nur anzustarren, beugt er sich vor und presst seine kleine Wange gegen meine im Versuch, mich zu trösten. Ich kann nicht umhin, die Arme um ihn zu schlingen, um diesen kleinen Jungen, der Finns Platz in meinem Traum eingenommen hat. Ihn in den Armen zu halten, fühlt sich herrlich an, tröstlich. Ich beginne laut zu schluchzen.
»Es macht mir ja nichts aus, wenn du dir die Augen mit meinem Bettzeug abwischst«, sagt Will, »aber Henry sollte vielleicht lieber gehen.« Er löst den kleinen Jungen aus meiner Umarmung und schubst ihn behutsam in Richtung Tür.
Will setzt sich auf den Stuhl neben dem Bett. Ich kann immer noch nicht fassen, wie anders er hier zu Hause aussieht, obwohl seine Kleider, sein Haar, seine Tattoos immer noch dieselben sind. Vielleicht liegt es ja nur daran, dass ich ihn noch nie bei Tageslicht gesehen habe.
»Alles in Ordnung mit dir?« Er klingt aufrichtig besorgt.
»Du musst dringend Masken für deine Geschwister besorgen.«
Sein Kiefer spannt sich an. »Glaubst du vielleicht, das wüsste ich nicht? Weißt du, wie teuer … Nein, natürlich weißt du es nicht. Wie viele Masken hast du?«
Ich schlucke. Ich habe im Untergrund gelebt. Ich will ihm nicht auf die Nase binden, dass ich fünf Masken besitze – eine ganz normale aus Porzellan, eine schwarze Vollmaske, falls ich zu einem von Prinz Prosperos Kostümbällen eingeladen werden sollte, die er so gern veranstaltet. Eine violette, mit Pailletten besetzte, und zwei Ersatzmasken, falls eine einen Sprung bekommen oder schmutzig werden sollte.
Aber ich kann den Kindern keine von meinen abgeben. Wenn man einmal durch die Masken geatmet hat, sind sie für andere wertlos. Früher wurden die Masken häufig gestohlen, heute hingegen tragen die Leute sie noch über den Tod hinaus, selbst wenn sie Opfer eines Mordes wurden, achtlos weggeworfen wie die Leichen selbst.
»Komm«, sagt Will und geht vor mir her in die Küche zurück. Die Kinder sitzen immer noch über ihrem Puzzle und beachten uns nicht. Er tritt vor den Geschirrschrank und nimmt eine Schachtel aus einer Schublade. Ich erkenne sie auf Anhieb.
Masken und die Schachteln, in denen sie verpackt werden, sind das Einzige, was in unserer Stadt noch hergestellt wird. Er hebt den Deckel ab, und obwohl ich schon tausende Masken gesehen habe, entfährt mir ein ehrfürchtiger Laut. Auf einem Bett aus rosa Samt liegt eine kleine Kindermaske.
»Die gehört Elise. Drei Jahre lang habe ich jeden Penny gespart, den wir nicht unbedingt gebraucht haben, um sie kaufen zu können. Und gestern konnte ich sie endlich abholen.« Die winzige Maske hat etwas Rührendes und zugleich Beängstigendes.
»Und hast du auch eine für Henry?«
»Noch nicht, aber ich spare weiter. Ich habe beschlossen, diese hier für Elise zu kaufen, damit sie sich daran gewöhnen kann. In zwei Monaten beginnt das neue Schuljahr.«
Mein Magen zieht sich zusammen.
Eines der Kinder darf eine Maske tragen. Das andere nicht.
F ÜNF
I ch war der erste Mensch, der je durch eine Maske atmen durfte. Ich weiß noch genau, wie Vater damit aus seinem Labor kam.
»Probier die mal auf.« Er reichte Finn die Maske.
Finn weigerte sich. »Das sieht doch total albern aus. Mit diesem Ding sehe ich ja aus wie eine Puppe.« Wir waren dreizehn Jahre alt, und er sträubte sich mit Händen und Füßen gegen alles, was irgendwie nach Mädchenspielen roch.
»Ich habe auch eine von Arabys Puppen als Vorlage genommen. Die Form ist vielleicht noch nicht ganz perfekt, aber ausbaufähig. Und sie filtert die Keime, die den Schwärenden Tod verursachen.«
Finn schob die Maske beiseite. Ich schnappte sie mir.
Das Porzellan fühlte sich spröde und unangenehm
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