Die Stadt des roten Todes - Das Mädchen mit der Maske: Roman (German Edition)
sodass ich mich mit großer Vorsicht bewegen muss. Die Decke ist so niedrig, dass Elliott wahrscheinlich kaum aufrecht stehen könnte und Will sich tief bücken müsste. Gedanken an Will flackern unwillkürlich auf. Einen Moment lang wünsche ich mir nichts mehr, als diesem abscheulichen Ort zu entfliehen und in seiner Wohnung zu sein. Notfalls würde ich auch mit dem Debauchery Club vorliebnehmen. Alles wäre besser als dieses Schloss.
Doch ich gehe weiter, durch einen breiten, von Eisentüren gesäumten Gang, hinter denen sich höchstwahrscheinlich die Kerkerzellen verbergen.
Ich höre ein Geräusch – vielleicht einen Schritt, vielleicht aber auch nur ein Ächzen der Gemäuer über mir.
Als ich mich in die Richtung wende, aus der das Geräusch gekommen ist, muss ich einen Aufschrei unterdrücken. Ein Dienstmädchen steht so dicht vor mir, dass ich sie ohne Weiteres berühren könnte, wenn ich den Arm ausstrecken würde. Sie hat sich mit dem Rücken gegen die Steinmauer gepresst und wartet. Ich habe keine Ahnung, wie sie es aushält, denn die Wand ist von einer dichten Pilzschicht überzogen, die im düsteren Schein der Kerze grünlich schimmert. Wasser tritt aus den Ritzen zwischen den uralten Steinen heraus und sammelt sich in schmutzigen Pfützen auf dem Boden. Die Steine glitzern feucht.
Der Anblick der nässenden Mauer lässt mich an den Schwärenden Tod denken.
Ich zwinge mich, das Mädchen wieder anzusehen. Sie hat eine Laterne in der Hand, die jedoch mit einem Tuch abgedeckt ist, das sie nun beiseitezieht. Ich sehe, dass sie lächelt, offenbar amüsiert über mein Unbehagen. Sie ist bildschön.
»Elliott hat mich geschickt«, sage ich leise.
Sie zupft ihre Schürze zurecht und mustert mich von Kopf bis Fuß.
»Sag Mr Elliott, dass seine Schwester nicht hier im Palast ist.« Es dauert einen Moment, bis ich begriffen habe, weil ich wie gebannt auf ihre Mundwinkel gestarrt habe; auf die Art und Weise, wie sie sich heben, wenn sie seinen Namen ausspricht.
»Aber sie muss hier sein«, beharre ich. Wo soll sie sonst sein?
»Nein, sie ist nicht hier. Seit ihrem gemeinsamen Besuch im letzten Jahr hat sie keinen Fuß mehr ins Schloss gesetzt. Sag ihm, er soll so schnell wie möglich wieder abreisen.«
Ein Geräusch aus einer der Zellen lässt uns beide vor Schreck zusammenzucken. Sie legt das Tuch über ihre Laterne, tritt zwei Schritte zurück und lässt mich allein in der nahezu undurchdringlichen Dunkelheit zurück. Suchend schweifen meine Augen über die Schatten jenseits des Scheins meiner Kerze. Allem Anschein nach befinde ich mich an einer Gabelung, wo sich mehrere Wege kreuzen. Ich zähle mindestens fünf Gänge, die von hier aus weggehen.
Inzwischen habe ich völlig die Orientierung verloren und keine Ahnung mehr, welcher der Gänge mich zurück zu Elliott und damit in die Sicherheit führt. Schließlich entscheide ich mich für einen und gehe ihn ein Stück entlang, sorgsam darauf bedacht, den Zellen nicht zu nahe zu kommen, aus Angst, jemand könnte mich packen und hineinziehen. Irgendwo öffnet sich knarzend eine Tür. Ich haste den Korridor entlang und lausche angestrengt. Sind das Schritte hinter mir?
Endlich gelange ich zur Treppe. Ich stoße mit den Zehen gegen die unebenen Steine, aber trotz der Schmerzen laufe ich weiter, ganz schnell, dem schwachen Licht im Korridor über mir entgegen. In diesem Moment höre ich etwas. Eine Fledermaus, ein riesiges schwarzes Vieh, das wild mit den Flügeln schlägt. Ich springe zur Seite, während ein Schrei in meiner Kehle aufsteigt, doch bevor ich ihn ausstoßen kann, spüre ich, wie mich jemand packt.
Er drückt mich gegen die Wand, schiebt seine Maske zur Seite und küsst meinen Hals.
»Hast du Angst?«, fragt Elliott.
Schritte ertönen hinter uns. Elliott nimmt mich noch fester bei den Schultern, als böten wir damit einen noch überzeugenderen Anschein des heiß verliebten Paars, das sich inmitten der von Pilzteppichen überwucherten Wände küsst.
Eine Dienstbotin hastet vorbei. Als sie außer Sichtweite ist, lässt Elliott mich so abrupt los, dass ich beinahe zu Boden falle.
»Tut mir leid.« Mit einem Zipfel des Wandteppichs entfernt er den Schmutz von meinen Schuhen. »Wir wollen doch nicht, dass jemand merkt …«
»Sie ist nicht hier.« Die Enttäuschung in meiner Stimme ist unüberhörbar.
»Nicht?«
»Du hörst dich nicht so an, als würde dich das überraschen.«
»Ich höre mich nie überrascht an. Was nicht heißt …«
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