Die Stadt des roten Todes - Das Mädchen mit der Maske: Roman (German Edition)
Wieder nähern sich Schritte. Ich wappne mich innerlich, als er mich bei den Schultern packt, doch diesmal ist seine Berührung verblüffend sanft. Er beugt sich vor, sieht mir tief in die Augen, und für einen Moment bin ich sicher, dass er mich küssen wird. Ich hebe die Hände und halte meine Maske fest, damit er sie nicht zur Seite schieben kann. Völlig egal, welches Risiko er einzugehen bereit ist, ich werde mich unter keinen Umständen der Luft hier unten aussetzen. Und ich will ihn auch nicht küssen.
Ich kenne ihn nicht gut genug, um die Gefühlsregungen einzuordnen, die sich auf seinen Zügen abzeichnen. Schuldbewusstsein, Misstrauen, vielleicht auch Verlangen. Ich spüre, wie ich mich versteife, obwohl ich mich bemühe, mich in seine Umarmung fallen zu lassen.
»Du bist viel zu steif. Niemand wird dir abkaufen, dass dir gefällt, wenn ich dich anfasse«, sagt er.
»Tut es auch nicht«, murmle ich.
Zwei Dienstbotinnen gehen an uns vorbei. Ich sehe ihnen nach, aber keine von ihnen entpuppt sich als Elliotts hübsche Nora.
»Es glaubt doch sowieso keiner, dass du mich in diesen dunklen Gang gezogen hast, um mich … zu umarmen«, sage ich schließlich.
»Du würdest staunen, welche Orte die Leute sich für eine Umarmung aussuchen.«
»Es gibt Leute … Liebespaare … die deswegen hierherkommen?«
»So heißt es.« Etwas in seinem Tonfall verrät mir, dass sein Mund hinter der Maske belustigt zuckt.
»Du auch?«, entfährt es mir.
»Als ich noch jünger war.«
»Mit diesem Mädchen? Ist das der Grund, weshalb sie mich angesehen hat, als …«
»Ich kann mich nicht erinnern«, unterbricht er. »Verschiedene Orte, verschiedene Mädchen.«
»Das ist ja widerlich.«
»Wahrscheinlich. Mein Onkel hat mich hier jahrelang gefangen gehalten. Ich musste zwar nicht in einer Zelle sitzen, aber ein Gefangener war ich trotzdem. Und jeder wusste das. Ich habe viele Dummheiten gemacht, um ihn zu ärgern; unter anderem habe ich mich praktisch überall in seinem tollen Palast mit irgendwelchen Mädchen vergnügt. Aber all das hat nichts bedeutet.«
»Dir vielleicht nicht. Aber möglicherweise hat es ihnen etwas bedeutet.«
»Sie waren Närrinnen. Sich mit mir einzulassen, war ein enormes Risiko für sie«, stößt Elliott mit leiser, wütender Stimme hervor. »Und das ist es wahrscheinlich heute noch.«
»Ich finde es schrecklich hier«, sage ich.
»Ich auch.«
»Können wir morgen wieder nach Hause fahren?«
»Wir werden nach Hause fahren, sobald der Prinz es uns erlaubt.« Wir durchqueren einen Korridor, gehen eine weitere Treppe hinauf und biegen in den nächsten, von Wandvorhängen gesäumten Flur, hinter dem sich ohne Weiteres jemand verstecken könnte. Vor einer Tür bleibt Elliott stehen. »Hier ist dein Zimmer. Meines ist direkt gegenüber. Solltest du etwas brauchen« – er grinst – »klopf einfach. Aber bis dahin musst du etwas für mich tun. Wir sollten ein bisschen üben. Wann immer ich dich anfasse, wirst du stocksteif. Das werden die Leute irgendwann merken.« Er zieht mich an sich. »Manchen Mädchen gefällt es …«
Ich schiebe ihn von mir, worauf er einen kleinen Schritt zurückweicht. »Das glaube ich dir gern, aber du hast genau diese Mädchen gerade als Närrinnen bezeichnet, und mir steht der Sinn nicht nach unerwarteten Intimitäten.«
Er steht immer noch viel zu dicht vor mir, aber ich bin fest entschlossen, nicht weiter zurückzuweichen.
»Solange wir dieses Spiel hier spielen müssen, solltest du dich auf Intimitäten gefasst machen. Dann kommen sie nicht mehr ganz so unerwartet.«
»Nein.« Ich lege ihm die Hände auf die Brust und schiebe ihn fort, diesmal entschlossener. »Das war nie Teil unserer Vereinbarung.«
»Vergiss die Vereinbarung. Versuch einfach nur, nicht ganz so finster dreinzusehen, wenn ich dich anfasse. Meinem Onkel entgeht nichts. Wir schweben in Gefahr.«
Ich öffne die Tür zu meinem Zimmer.
»Araby?« Mit einem Mal wirkt er nicht mehr so arrogant, sondern beinahe traurig. »Kommst du noch auf einen Drink mit in mein Zimmer?«
»Heute Abend nicht.« Ich trete in mein Zimmer, schließe sorgsam die Tür und schiebe den Riegel vor.
Der Raum ist üppig ausgestattet und unübersehbar darauf ausgerichtet, Gäste damit zu beeindrucken, aber trotzdem ungemütlich. Ich lege mich ins Bett, doch nachdem ich mich stundenlang herumgewälzt habe, wird mir klar, dass ich ohne meinen Trunk nicht werde einschlafen können. Ich sehe ständig Vaters Gesicht vor
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