Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
deshalb machten die Matrosen sich zu Fuß auf den Weg zum Hafen und ich beschloss, ihnen einfach zu folgen. Aber der Hafen war für mich ein gänzlich neues und unbekanntes Gebiet, die Matrosen verschwanden im Getümmel, und ich schaute gebannt auf einen Frachter, der den Namen »Garibaldi« trug. Ich war nicht der Einzige, der von seiner Größe fasziniert war, auch die Städter standen an der Kaimauer und beobachteten die Pferde, die man vom Schiff entlud, es waren sechs sehr schöne Pferde, das Rostfarbene unter ihnen rutschte beim Gehen auf der abschüssigen Plattform aus und stürzte. Ein Schrei entfuhr der Menge, die Menschen hatten Angst um das Tier und einige von ihnen legten vor Schreck die Hand auf den Mund, die anderen, alles ältere Leute, schauten nur voller Entsetzen auf das Geschehen. Danach war im Hafen nichts mehr zu sehen, ziellos wie eine Fliege schwirrte ich umher und konnte mich nicht entscheiden, wohin ich denn gehen sollte, versuchte aber den Eindruck zu erwecken, hier von jemandem erwartet zu werden, dem ich gleich in die Arme fallen würde. Ich wusste nicht, ob ich die Straßenbahnlinie 2 oder die Linie 1, die zum erneuten Male klingelte, nehmen sollte. Hastig sprang ich erst in die eine, dann in die andere Richtung, blieb aber auf einmal atemlos stehen, der Schuh war mir abgefallen und lag zwischen den Schienen, ich weiß nicht mehr, was genau passiert war, aber ich musste mich erst mal hinsetzen und durchatmen. Ich glaube, meine Schuhe waren mir einfach eine Nummer zu groß, ich hätte mein ganzes Geld in ihnen verstauen können. Irgendwann wusste ich überhaupt nicht mehr, wo ich mich befand, alles erschien mir gleichermaßen vertraut wie fremd.
Ich weiß nicht, wie viel Zeit ich eigentlich insgesamt in Gruž verbracht habe, ich schaute mich überall um und hatte mit Sicherheit das ganze Viertel schon gesehen, denn ich war sehr müde, mehrmals hielt ich nach einer Bank Ausschau, fand sie in einem Park und legte mich hin. Ich betrachtete die schönen gemeißelten Wände eines Palazzos, war hingerissen von den Zypressen und den Kirchtürmen, und als ich eine Sirene vernahm, die von der Werft kommend zu hören war, sprang ich von der Bank auf und schaute besorgt umher. In diesem Augenblick kam ein Padre vorbei, der mich beruhigte. Das sei hier der übliche Ruf zur Jause. Dann ging ich von dort weg und schlich lange um einen Kiosk herum, an dem man stehend etwas essen konnte. Die Preise waren mit Kreide auf eine Tafel geschrieben, die am Verkaufspult hing. Während ich die Speisekarte las und die Gerüche der Nahrung aufnahm, bekam ich Durst auf einen Saft. Ich merkte mir aus unerfindlichen Gründen die Preise für zwei Gerichte, das eine hieß »Nichts Besseres als Gnocchi«, das andere »Eine Wucht Sardinen«, aber nichts davon konnte man schon bestellen, die Leute hatten erst jetzt angefangen zu kochen. Die Jause gab es erst nach elf Uhr. Und selbst wenn das Mittagessen schon fertig gewesen wäre, hätte ich nichts bestellt, weil ich mich an Jozipas Rat halten und nur in einem guten Restaurant zu Mittag essen wollte. Hier stand ich einfach nur so herum, fragte mich aber gleichzeitig, ob das mein gutes Recht war oder nicht.
Eine Frau mit riesigen Brüsten kam auf den Kiosk zu, so etwas hatte ich noch nie zuvor gesehen, und es dauerte Jahre, bis ich einen solchen Busen wieder zu Gesicht bekam. Ich hielt mich am Pult fest, um mich zu wappnen und sie besser sehen zu können, die Frau bestellte einen Schnaps. Ich hatte das Gefühl, dass sie meinen paralysierten Blick genau wahrgenommen hatte, denn sie fing plötzlich an mit beiden Händen ihre Brüste noch höher zu stemmen, so als wollte sie sie noch ein bisschen besser richten und geschmeidig einbetten. Sie machte sogar einen Knopf auf, als beabsichtige sie, mich damit zu necken und ein kleines Spiel mit mir zu beginnen. Schüchtern grinste ich sie an.
»Würdest du sie gerne sehen?«, flüsterte sie leise und geheimnisvoll.
»Wer würde das nicht wollen«, sagte ich mit bemüht entschiedener Stimme.
»So manch einer würde dafür zahlen, dass er so einen schönen Busen sehen kann, für meine zwei Babys gibt man gerne was aus. Sind sie nicht schön?, meine zwei Mädelchen – so nennt mein Mann meinen Busen. Wenn du ein bisschen Kleingeld hast, können wir das regeln, dann kannst du sie auch von nahem in Augenschein nehmen«, sagte sie.
»Habe ich nicht«, sagte ich.
»Dann glotz sie gefälligst nicht an wie ein Kalb eine bunte Tür«,
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