Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
andere es gut meinte, denn es gab für mich andere und größere Räume, zu denen ich mich lieber zugehörig fühlte. Und wer weiß, vielleicht ist auch meine Lehrerin enttäuscht worden, vielleicht reichen heute die Visionen und Wünsche ihrer Jugend nicht mehr an sie heran. Ich würde sie gerne sehen und mit ihr darüber reden, ihre Erinnerungen würden mir gewiss von großer Hilfe sein, sie würden dieses Buch bereichern, aber die Zeit hat ihre Spuren an uns allen hinterlassen, deshalb denke ich, dass ein solches Gespräch nach all diesen Jahren nicht mehr möglich wäre würde.
Wie ich in jenen großen Raum mit den erleuchteten Gegenständen gekommen war, das weiß ich selbst nicht mehr. Etwas Ähnliches habe ich später nicht noch einmal erlebt und für mich diesen kleinen Ausflug als ein eigensinniges Aufeinandertreffen von Wirklichkeit und Imagination verbucht. Meine Kenntnisse über die dort ausgestellten Gegenstände habe ich mir erst später angeeignet. Auf diese Weise war es mir möglich, mein Erlebnis einzubetten und alles zu rekonstruieren und herauszufinden, wie die Gegenstände hießen. Dabei wollte ich nie der Haltung eines Vortragenden verfallen, ich bin mir darüber im Klaren, dass im Gegensatz zur totalen politischen Freiheit der Erzähler seine Freiheit aus der von ihm gesetzten Begrenzung bezieht.
Am Ende des Säulengangs war ein Verkaufsstand. Es wurden verschiedene Gegenstände und Glasperlen angeboten. Hier hielt ich mich am längsten auf und hörte dem Klangspiel der Glasperlen zu. Die Verkäufer wussten alles über Glasperlen, sie erzählten und gestikulierten, beriefen sich auf verschiedene Epochen und den Glanz vergangener Zeiten, sie boten unzählige Halsketten an, Rosenkränze, Schmuckanhänger, Tassen, Gläser, Fläschchen, Brillen, massenweise kleine bunte Glasbeeren, die als Schmuck für Tücher und Schals gedacht waren, kleine runde Spiegel (specchi tondi piccoli) und Glasglöckchen. Das Glasperlenspiel war überall zu hören, ich war glücklich, dass ich so etwas erleben und die Perlen berühren durfte. Manche Perlen hielt ich gebannt und sprachlos in den Händen, das wache Auge des Händlers ruhte stets auf mir. Bis heute faszinieren mich alle Glaswaren, ich fing sogar irgendwann an, sie zu sammeln. Als ich mein erstes Buch veröffentlicht hatte, besaß ich schon eine ansehnliche Sammlung von Flaschen, die sogar in einem Museum ausgestellt wurden und die Leute erfreuen konnte. Leider sind alle Flaschen in Belgrad zerstört worden, als das Dach einstürzte und alles unter sich begrub.
Ich bin mir nicht sicher, ob diese Liebe zum Glas in einen familiären Zusammenhang gebracht werden kann und ob sich ein Interesse für so etwas vererben kann. Mir ist aber bekannt, dass einer meiner Vorfahren ein hoch angesehener Glasmacher war. Er hieß Radonjić und kam aus Konvala. Ob Zufall oder nicht, ich befand mich ausgerechnet in jenem Augenblick in der Stadt Zadar, als bei der Felswand von Gnalić auf dem Meeresgrund aus der Zeit der Venezianischen Republik die Galeere Gagiana geborgen wurde – mit einer großen Fracht Muranoglas. Die Unterwasserarchäologen behaupten, dass das Schiff im November 1583 gesunken ist. Ich war eigentlich nur auf der Durchreise, beschloss aber damals, so lange in Zadar zu bleiben, bis ich diesen Schatz aus Glas mit eigenen Augen gesehen hätte.
40
Kaum dass ich mich auf den Weg zu den Treppen gemacht hatte, fand ich mich in einer Masse forteilender Menschen wieder, wusste aber überhaupt nicht, was eigentlich auf dem Bürgersteig los war; ich erblickte einen Tänzer, der ein altertümliches Kostüm trug, mit einer Perücke auf dem Kopf, in spitzen Lackschuhen. Er war durchweg elegant und die Leute klatschten, ich machte das sofort auch, riss mich aber innerlich noch etwas zusammen, bis er ausrief: »Wer es wünscht, kann sich im Palazzo Sponza umsehen!«
Dann ging er schon zum Palazzo, aber nur wenige folgten ihm. Einer von ihnen war ich. Es gefiel mir, diesem wundersamen Menschen nachzugehen, weil ich mir vorstellte, dass einst die Großgrundbesitzer von Dubrovnik so ausgesehen haben müssten wie er. Er fuchtelte mit einem eleganten Stab herum, der aus weißem Holz war, geschickt hielt er ihn in der Hand und hantierte mit ihm herum; er sah aus wie ein Ritter mit seinem Schwert, deswegen drückte ich mich an den Leuten vorbei, um ihm so nahe wie möglich zu sein. Wir betraten nach ihm den Palazzo Sponza, ich heftete mich sofort an seine Fersen und blieb
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