Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Kovac
Vom Netzwerk:
sagte sie und drehte mir im Weggehen eilig den Rücken zu.
    Ich entfernte mich von dem Kiosk, ging mit behutsamen Schritten weg, sah mich aber immer wieder um, weil ich Angst hatte, dass mich aus dem Nichts irgendjemand am Hals packen und auf die Erde werfen, mich zwingen würde, mein ganzes Geld aus den Taschen hervorzuholen. Als die Kirchenglocken verklungen waren, hörte man lange die Turbinen eines Dampfschiffs, ich wusste nicht, ob es sich für die Hafeneinfahrt ankündigte oder schon dabei war wieder auszulaufen. Nicht einmal hundert Schritte vom Kiosk entfernt stieß ich auf eine Bäckerei, sie war geöffnet, aber alle Regale waren bereits leer. Hinter der Theke stand ein Mann in einem weißen Hemd und sichtete Papiere, offenbar handelte es sich um Abrechnungen, wahrscheinlich rechnete er gerade seine morgendlichen Einnahmen zusammen, deshalb bemerkte er mich gar nicht an der Tür. »Ist vielleicht etwas übrig geblieben, eine Semmel oder ein Krapfen?«, wollte ich wissen.
    »Alles schon ausverkauft«, sagte der Bäcker, ohne den Kopf zu heben.
    »Und von gestern haben sie auch nichts mehr?«, fragte ich.
    »Alles weg.«
    »Mir ist es egal, wenn’s von gestern ist, manchmal mag ich Gebäck sogar lieber, wenn es alt ist«, sagte ich.
    »Entweder bist du taub oder verwildert«, sagte der Mann, hob den Kopf, und als er mich erblickte, rief er etwas wild Klingendes aus und nannte mich einen Esel.
    Als ich mich etwas von ihm entfernt hatte, bereute ich es, dass ich mich nicht über die Unfreundlichkeit des Verkäufers in der Bäckerei beschwert hatte, und sagte mir, dass ich hätte grob zu ihm sein müssen, beschimpfen hätte ich ihn sollen. Zu so etwas war ich durchaus in der Lage, aber ich muss zugeben, dass es mir in meiner eigenen Stadt leichter gefallen wäre. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und unterdrückte meine Wut, dann entdeckte ich einen Garten und schlich mich in ihn hinein, setzte mich auf eine Bank, um einen Plan zu schmieden, wie ich nun weiter verfahren wollte. Schließlich beschloss ich, nach Lapad zu fahren und Vaters Großhändler Ljubo Maras zu besuchen. Einmal hatte ich dort übernachtet, kannte also den Herrn, er war freundlich gewesen und ich stellte mir vor, dass er mich jetzt nicht wegschicken würde, vor allem aber hoffte ich, dass er wusste, wo mein Vater war.
    Ich sprang auf den Anhänger der Tram und fuhr ein Stückchen mit. Ich erinnerte mich daran, dass Vater mir erzählt hatte, dass die Leute von Dubrovnik nicht etwa mit der Straßenbahn fuhren, weil sie keine Zeit hatten, sondern weil sie fleißige Leute und immer in Eile waren.
    Lange stand ich vor dem schönen Haus aus bearbeitetem Stein, an der Vorderseite hatte es vier Fenster und in der Mitte ein gotisches Biforienfenster. Auf der Westseite befand sich eine Terrasse, und vom Eingangstor bis zur Haustür führte ein von Weinreben gesäumter Pfad. Ich ging eine Weile nervös umher, berührte mit meinen Fingern den Zaun, zupfte ein paar Blätter vom Efeu und vom Lorbeer weg, sah immer wieder zu den Fenstern, an den Vorhängen hatte sich die ganze Zeit über nichts getan, es beobachtete mich also niemand heimlich. Und während ich am schmiedeeisernen Tor stand, überfiel mich plötzlich eine vehemente Angst, in meinem Magen schien sich alles umzudrehen, ich zitterte, rannte dann so schnell ich nur konnte weg; nach einigen hundert Metern blieb ich stehen, atmete durch und sah ein kleines Segelboot in der Bucht, eine Möwe versenkte sich in diesem Augenblick mit flatternden Flügeln und einem durchdringenden Kreischen wie ein Pfeil in der golden glitzernden flachen Unendlichkeit des Meeres. Ich zählte mein Kleingeld zusammen, hielt es fest in meiner Hand, überquerte die Straßenbahnschienen und stellte mich an die Tramhaltestelle. In diesem Augenblick hörte ich das Getrappel von Pferdehufen, einmal in einem regelmäßigen Rhythmus, dann, als würde der Eisenbeschlag der Hufe immer wieder an den Schienen reiben. Dieses Orchester schien sehr nahe zu sein, ich musste nicht lange warten und sah schon bald, dass die Straßenbahn den Pferden den Vortritt ließ, die in kleinen, aber gut hörbaren Schritten grazil und langsam die Straße überquerten. Jedes dieser sechs Pferde hatte einen eigenen Führer, der sein Pferd am Kopf festhielt. Die Vorübergehenden blieben stehen und genossen diesen Anblick, ihre Gesichter leuchteten hell und sie lächelten. So wenig also brauchte es zur Freude! Der Glanz der Pferderücken hatte die

Weitere Kostenlose Bücher