Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
Menschen verzückt. Es heißt, Pferde seien die einzigen Tiere, die einen wohligen Duft verbreiten. Es stimmte tatsächlich, als sie vorbeigegangen waren, hinterließen sie einen angenehmen Geruch.
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Ich bin nicht überstürzt hineingerannt, ich war zunächst sogar ganz ruhig neben einem Pfeiler stehen geblieben und hatte gesehen, dass die gemeißelten Steinblumen von ihm abgefallen waren, auf dem Boden lag eine Marmorstatue, der die Hände fehlten. Ein Mann hielt den wenigen Besuchern einen kleinen Vortrag, aber er tat es mit einem unangenehmen Nachdruck in seiner Stimme, sodass man das Gefühl bekam, die Statue knirsche vor Wut mit den Zähnen, ersinne Rache an jenem Vandalen, der sie in eine solch missliche Lage gebracht und von ihrem Thron gestürzt hatte. Der Reiseleiter, das werde ich wohl nie vergessen, streichelte beim Reden die abgebrochenen Teile der Staue, küsste ihre versprengten Marmorfinger, sogar die kleinen Blütenblätter liebkoste er und entdeckte dabei mich. Als er mich ansah, bemerkte ich, dass er weinte, die Tränen perlten an seinem Gesicht entlang in Richtung seines Kinns. Ich hätte mich etwas mitfühlender zeigen sollen, aber in diesem Augenblick überwog mein offenmundiges Staunen. Viele Male ist mir später durch den Kopf gegangen, dass in allen Epochen Waffen erfunden worden sind, mit denen man die Schönheit ausschalten wollte, und es kommt mir vor, dass dieser zerstörerische Akt eine größere Heftigkeit in sich trägt und stärker als das schöpferisch Demiurgische ist.
Im Palast waren viele Leute. Ich war mir nicht im Klaren darüber, ob ich nicht in eine Feier hineingeplatzt war, begriff aber schnell, dass mich im Grunde niemand beachtete, es drängte mich auch niemand dazu, mir eine Eintrittskarte zu kaufen. Deswegen schritt ich fröhlich von einer goldenen Statue zur nächsten und genoss die Erhabenheit, die von ihnen ausging. Ganz plötzlich bewegte sich an der Decke der riesige Kronleuchter, der auf mich den Eindruck einer ungeheuerlichen Fackel machte. Das Kristall zitterte, die kleinen Kristallblumen verursachten dabei einen fast musikalischen Klang, es musste ein Wind durch sie gefahren sein. Auch die anderen Palazzobesucher hatten den Luftzug bemerkt, aber keiner von uns war stehen geblieben, bestimmt aus Angst, dass der Lüster auf den Boden fallen und zerspringen könnte. Aber er blieb einfach in der Luft stehen. Auch ich und vor allem meine Beine hatten vor Aufregung gezittert, weshalb mir dieses Ereignis für immer unvergesslich bleiben wird.
Aus der weitläufigen Halle kommend, stieß man direkt auf einen Säulengang, der seiner ganzen Länge nach im Licht stand. Die Strahlen erfassten das polierte Metall der Fenster, die an sich leuchtenden Gegenstände erschienen mir nun noch heller, ebenso das Schmuckwerk und die Schatullen, die zwischen den Wandpfeilern standen und mit floralen Mustern und barocken Kränzen versehen waren. Der Glanz und das Leuchten der Gegenstände lähmten mich geradezu, ich blieb stehen, ging nicht sofort zu den Verkaufsständen, sondern blieb noch eine ganze Weile neben der vergoldeten Statue stehen, die unsere Stadt als Miniatur in ihrer Hand hielt, zu ihren Füßen, auf kleinen Podesten, standen verschiedene Figuren, manche von ihnen waren beschädigt, und in eine verliebte ich mich auf der Stelle. Es war eine alabasterfarbene Skulptur der Heiligen Familie. Es waren viele potenzielle Käufer im Raum, jeder schaute sich die schönen Gegenstände sehr genau an, und ich kaufte für einen geringen Preis als Geschenk für meine Lehrerin Jozipa ein altertümliches Wappen, wenn ich mich richtig erinnere, gehörte es der adeligen Familie Ban, die aus der Gegend von Popovo Polje aus der Herzegowina stammte.
Ich wusste, dass meine Lehrerin solche Gegenstände sammelte und liebte, die an und für sich nicht kostbar waren, aber eine besondere Bedeutung für sie hatten, wenn sie aus der Herzegowina kamen. Sie liebte die Menschen dieser Gegend und war sich sicher, dass ein Herzegowiner, sei er nun ein Fronbauer, Händler, Landarbeiter, Hirte, Lehrer oder Herumstreicher, eine von Grund auf edle und gute Seele hatte, und wenn er krude oder frevelhaft war, so nur deshalb, weil ihm im Leben irgendeine Ungerechtigkeit zugestoßen war. Damals erfüllte mich ein solcher Satz mit Stolz, aber mit den Jahren des Erwachsenwerdens entfernte ich mich immer mehr von dieser Welt und wollte von niemandem mehr zu ihr gezählt werden, auch dann nicht, wenn der
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