Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
hinter dem städtischen Kaffeehaus gewesen sei, an der Mole, und wir gingen in der Stadt umher, sahen uns tausend und einen Winkel an, aber keine Spur von meinem legendär gewordenen Restaurant aus der Kindheit, aller genauen Erinnerung zum Trotz, die ich mit Leichtigkeit wieder hervorholen konnte, ohne Anstrengung und in glasklarer Kontur, Hunderte Male hatte ich das getan, alles stand deutlich vor meinem inneren Auge, als sei es gestern erst geschehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Vorstellungskraft des Gedächtnisses etwas erschaffen haben könnte, das nie Wirklichkeit war, aber irgendetwas hatte sich offenbar in meinen Koordinaten verschoben, und dieses Etwas war nicht mehr ausfindig zu machen. In all diesen Jahren war es nicht umsonst, das eine oder andere zu meistern und sich selbst zu überwinden, ohne eine Stütze im Außen zu haben, es reicht nicht, das Eigene aus dem üblichen Rahmen zu heben, manchmal ist es wichtiger, in einer gänzlich neuen Leere anzukommen und von vorne zu beginnen, mit dem Nichts, mit dem wir das umkreisen, was wir Identität nennen, vielleicht sogar gerade dann, wenn alles zu spät zu sein scheint.
Ich hätte auch an irgendeinem Imbiss etwas stehend essen können, das war schon Luxus für mich, denn es war gar nicht unüblich für mich, dass ich aus Dubrovnik mit einem knurrenden Magen nach Hause kam. Ich hatte für gewöhnlich irgendwelche Reste gegessen oder süßes Gebäck, zur Weinlesezeit einfach nur Trauben mit Brot. Ein herrschaftliches Essen war für mich schon ein Teller Sardinen, wenn ich sie mir leisten konnte. Aber jetzt hatte mir meine Lehrerin Geld gegeben, damit ich wie ein feiner junger Mann irgendwo etwas zu mir nahm, ohne die alte provinzielle Angst, ohne Hemmungen, ohne die Unterwürfigkeit eines Dörflers an den Tag zu legen. Es fiel mir aber nicht leicht, ein gutes Restaurant zu betreten. Ich war noch wegen des älteren Herrn verängstigt, der mich einen Wallachen genannt und mir gesagt hatte, dass ich Frauenschuhe trage. Dennoch nahm ich nach einigen Anläufen meinen Mut zusammen und betrat durch eine zweiflügelige Tür einen Flur, der wiederum zu einer kleineren Glastür führte, über der auf Milchglas in verschnörkelter Schrift das Wort Restauracija zu lesen war. Allein das genügte schon, um mich in innere Aufregung zu versetzen, und als ich am Ende des Flures ankam, entdeckte ich mich in einem goldumrandeten Wandspiegel. Sofort fiel mein Blick auf die ärmlichen »Mädchenschuhe«, ich sah die Angst in meinem eigenen Gesicht, meinen vom Schreck durchsetzten Blick, und am liebsten wäre ich im Erdboden versunken, hätte mich so lange versteckt, bis meine Angst vorbeigegangen wäre, verzweifelt wollte ich mich irgendwohin flüchten, mich gleichsam retten. Mehr aus Zufall als aus gezieltem Vorhaben landete ich vor einer Tür, die ich als die Toilettentür erkannte. Auf der einen Tür war ein Schildchen mit einer Dame und auf der anderen mit einem Herrn zu sehen. Ich ging hinein und stellte mich sofort an ein Pissoir, obwohl ich gar nicht das Bedürfnis hatte zu pinkeln, danach wusch ich mir die Hände, legte die nassen Handflächen an meinen Hals, nahm mich zusammen und versuchte mich zu beruhigen. Und nur einen Augenblick später befand ich mich schon in dem feinen Restaurant.
Es gelang mir, zwischen den bereits für das Mittagessen mit weißen Tüchern gedeckten Tischen hindurchzugehen, ohne zu stolpern oder irgendwo hängen zu bleiben. Am Ende des Restaurants saß in einer Ecke ein Klavierspieler, er trug einen hellen Anzug, war mittleren Alters und hatte einen etwas dunklen Teint, sein Haar war wild und dicht, seine Finger eilten langsam und geschickt über die Tasten, er sah häufig zu einem vornehmen Paar, das in seiner Nähe an einem Tisch speiste. Die Musik war leise, sie hatte etwas Feierliches an sich, und ich fühlte mich so, wie man sich manchmal allein in einer Kirche fühlt, deshalb vergaß ich für einen Moment, wo ich mich befand, bewegte mich ungeschickt nach vorne, berührte mit der Hand unaufmerksam eine Pflanze in einem großen roten Topf, blieb stehen und starrte den Musiker an, der mir aufmunternd zunickte.
Das vornehme Paar war mit dem Essen beschäftigt. Die Dame hatte einen schönen Haarknoten, am Hals und an den Händen trug sie Schmuck. Man hörte das Klappern ihres Essbestecks und das Geräusch beim Einschenken der Getränke, zwei Kellner gingen um sie herum und standen ihnen zur Verfügung. Als ich mich an den Tisch
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